Wittlicher Jugendschöffengericht Bewaffneter Raubüberfall – aber das Opfer ist unbekannt

Wittlich/Lahnstein · Ein ungewöhnlicher Fall am Wittlicher Jugendschöffengericht: Der Angeklagte selbst hat das Verfahren gegen sich in Gang gebracht, und niemand kennt das Tatopfer.

Wittlicher Jugendschöffengericht: niemand kennt das Tatopfer
Foto: dpa/Volker Hartmann

„So einen Fall haben wir noch nie erlebt“, staunten Richter Josef Thul, Staatsanwalt Mathias Juchem und Verteidiger Gerhard Prengel. Da sitzt ein 20-jähriger Häftling aus der Jugendstrafanstalt (JSA) Wittlich im Saal des Amtsgerichts und wartet auf seine Verhandlung.

Die Anklage lautet auf schweren Raub mit Schusswaffe, viermal Sachbeschädigung an Buswartehäuschen und ein Einbruchsdiebstahl in einer Gaststätte. Die Tatorte lagen alle in Niederlahnstein bei Koblenz. Weil der 20-Jährige zurzeit in der Strafanstalt Wittlich „wohnhaft“ gemeldet ist, muss sich das Wittlicher Jugendschöffengericht damit befassen.

Der Angeklagte sitzt in Wittlich zwei Urteile der Amtsgerichte St. Goar und Saarbrücken wegen Drogenhandels ab. Doch nun kommt der Clou: Eigentlich müsste das Gericht nicht über ihn beraten, und auch der junge Mann müsste nicht auf der Anklagebank sitzen, wenn er es nicht ausdrücklich so gewollt hätte. Er selbst hat sich an die Ermittler gewandt und alles auf den Tisch gelegt.

Und das war im Fall des Raubes nicht nur ein Geständnis, sondern er machte den Fall erst bekannt und lieferte den kompletten Tatbestand dazu. Bis heute wäre das alles völlig unbekannt weil – das ist der nächste Clou – das Tatopfer nie Anzeige erstattet hat und bis heute unbekannt ist.

Mit 14 Jahren habe das mit den Drogen angefangen, sagt der intelligent wirkende Angeklagte aus gut bürgerlichem Haus, jahrelang sei er ständig „zugedröhnt“ herumgelaufen, habe mit Drogen seinen Unterhalt bestritten, die Schule ständig geschwänzt, sich mit den Eltern überworfen. Dann kommt die von ihm präsentierte Raub-Geschichte: Im August oder September 2016 hatte er mit zwei Kumpels aus der Drogenszene, die er nicht nennen will, eine Frau beobachtet, die einmal wöchentlich zur gleichen Zeit die Volksbank in Niederlahnstein aufsuchte. „Ich brauchte Geld und trug immer eine 38er Smith & Wesson bei mir, die ich in der Szene gekauft hatte.“ Bis ins Detail schildert er dann den Tatplan und die Ausführung. Wie man zunächst Für und Wider abgewogen habe, die getrennten Fluchtwege ausprobierte, der abschließende Treff am Rhein, wo die Klamotten gewechselt werden sollten. Absurd: Einer aus dem Trio hatte die Aufgabe, nach dem Überfall das Opfer anzusprechen, Hilfe anzubieten und die Polizei zu verständigen, „weil wir auf dem Rückweg von Niederlahnstein an der Polizei vorbei mussten, die aber wären dann am Tatort gewesen“.

Dann kam der Tag der Tat, den der junge Mann so schildert: Als die Frau die Bank verließ, traten er und der zweite Täter mit Motorradhauben maskiert auf sie zu. Er hielt ihr die Pistole vor den Bauch und forderte Geld. Sie wollte noch weglaufen, wurde aber von seinem Kumpel aufgehalten. Die Beute betrug etwa 1400 Euro. Die Geldtasche versenkte er in der Lahn und die Pistole später auch. Die Beute wurde durch zwei geteilt. Der Dritte erhielt nichts, weil er auf seinen „Helferauftritt“ verzichtet hatte.Das wäre auch nicht nötig gewesen, denn die Überfallene hat weder die Polizei gerufen noch später Anzeige erstattet – sie bleibt ein Phantom. Warum und wieso, fragen Staatsanwalt und Richter. War ihr gedroht worden? Keine Antwort.

Eine Wittlicher Polizeibeamtin hatte die „Beichte“ des Angeklagten als erste aufgenommen und sagt: „Das kam alles zügig und klang nachvollziehbar. Seltsam war nur, dass bei den Kollegen in Lahnstein keine Anzeige vorlag und die Überfallene unbekannt blieb. Es gibt Dinge, die man sich nicht erklären kann.“

Auch der Angeklagte hat keine Erklärung, warum er 2016 an vier Buswartehäuschen mit einer Gaspistole die Scheiben demolierte, außer: „Wir waren halt zugedröhnt“. Handfester klingt sein Motiv für einen schweren Diebstahl in einer Gaststätte, in der er 2016 als Koch-Praktikant arbeitete. Der 20-Jährige: „Ich habe dort immer meine Arbeit gemacht. Der Chef hatte täglich guten Umsatz, aber mir dann erklärt, dass ich als Praktikant kein Geld erwarten dürfe.“ Vielleicht sei ihm das eine Lehre gewesen.

Er habe einen Schlussstrich ziehen wollen, erklärt der Angeklagte, er schäme sich für den Überfall und mit den Drogen müsse Schluss sein – daher habe er selbst alles auf den Tisch gelegt.

Der Staatsanwalt beantragt drei Jahre und drei Monate Haft, der Verteidiger bittet um ein gerechtes Urteil. Die Beratung des Gerichts dauert länger, dann das Urteil: Drei Jahre und zwei Monate Haft. Vorsitzender Thul: „Wir waren zunächst im Zweifel. Aber an der Geschichte ist so viel Fleisch dran, dass wir von ihr am Ende überzeugt waren.“

Der Angeklagte nimmt das Urteil an. Es ist damit rechtskräftig.

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