Literatur Morgendämmerung eines Weltstars

Mehr als 20 Jahre sind seit ihrem Tod vergangen. Unzählige Schallplatten und CDs – hundert? Hunderte? – sind schon zu ihren Lebzeiten veröffentlicht worden. Und noch immer ist sie für Überraschungen gut, sprich: werden in den Archiven der Schallplattenfirmen verstaubte Tonbänder in den hintersten Regalen und untersten Schubladen aufgestöbert mit neuem, unbekanntem Material.

 Ella al Zardis Cover

Ella al Zardis Cover

Foto: TV/Verlag

Das jüngste Beispiel: „Ella at Zardi’s“. So hieß ein Nachtclub in Los Angeles, genauer gesagt, in Hollywood, „einer der besseren in der Stadt“, wie im Begleittext zur CD vermerkt wird (1959 wurde er geschlossen). In diesem Club, zu dessen Stammgästen übrigens Marlon Brando gehörte, standen regelmäßig Größen des Genres wie Stan Getz, Chet Baker, Billie Holiday oder Art Tatum auf der Bühne. Und hier hatte Norman Granz am 2. Februar 1956 Mikrophone und Bandmaschinen aufbauen lassen, um einen „Gig“ seines populärsten Schützlings aufzuzeichnen. Es war für ihn, für Ella Fitzgerald und für seine neu gegründete Plattenfirma „Verve“ ein historischer Moment, handelte es sich bei diesem Konzert doch um den allerersten Live-Mitschnitt seines Labels. Ein Mitschnitt, der, wie so viele andere, erst einmal archiviert wurde – und irgendwann in Vergessenheit geriet.

Bis ein Mitarbeiter der Plattenfirma in den Keller ging, um aufzuräumen – und die 60 Jahre alte Aufzeichnung entdeckte. Mit 21 Songs wird hier der Beginn einer Weltkarriere dokumentiert. Große Worte, gewiss, aber während Miss Fitzgerald in ihrer Decca-Zeit überwiegend Pop-Musik und Schlager veredelt hat – die Plattenfirma war nicht sonderlich interessiert daran, aus ihrem noch recht ungeschliffenen Stein einen funkelnden Diamanten zu machen –, hatte Granz das Potential seiner Sängerin schon früh erkannt und ihr Repertoire nach und nach um Meisterwerke des „Great American Songbooks“ erweitert: Kompositionen von Gershwin, Kern und Porter, denen Fitzgerald in den folgenden Jahren enzyklopädische Alben widmete. Hier kann man sie sozusagen bei der Generalprobe einiger dieser Evergreens erleben.

Und dazu eine Sängerin, die mit ihrem Publikum scherzt und schäkert, wie sie es in den folgenden Jahren immer weniger und zum Schluss überhaupt nicht mehr gemacht hat: Da war sie nur noch die entrückte Diva, der die Zuhörer ehrfurchtsvoll zu Füßen lagen.

Bei diesem historischen Dokument dagegen erlebt man eine ungemein gut gelaunte Künstlerin, die auf die Wünsche ihrer Zuhörer eingeht; auf Bitte eines Gastes sogar einen Song anstimmt („Gone with the Wind“), bei dem sie vorsichtshalber für ihre Textunsicherheit entschuldigt (und ihren Pianisten Don Abney fragt „Kriegst du das hin?“), und halbwegs durch den Song – „wollt ihr ihn schnell oder langsam hören? So richtig sexy?“, fragt sie – bleibt sie wirklich hängen, rettet sich mit improvisierten Zeilen bis zum Ende („Wir haben’s geschafft!“, ruft sie erleichtert), und das Publikum ist, wie immer, hingerissen.

Es ist vor allem diese leichte, unbeschwerte, gutgelaunte Atmosphäre jenes Abends, die diesen ziemlich alten und unheimlich frisch klingenden Mitschnitt zu einem garantiert staubfreien Hörvergnügen macht.

Rainer Nolden

Ella at Zardi’s, mit Don Abney (Klavier), Vernon Alley (Bass) und Frank Capp (Schlagzeug), Verve, LC 01846

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