Mit der Kraft der Sprache - Aus Trier stammende Übersetzerin erhält in Berlin Internationalen Literaturpreis

Berlin/Trier · "Erschlagt die Armen!" heißt der provozierende Roman, in dem eine Dolmetscherin der Pariser Asylbehörde einem Migranten eine Weinflasche über den Kopf zieht. Das Buch hat für Furore gesorgt. Autorin Shumona Sinha und Lena Müller, die das Werk aus dem Französischen ins Deutsche übersetzte, sind für ihr Werk vom Berliner Haus der Kulturen der Welt mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet worden. Lena Müller stammt aus Trier.

 Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin zeichnet jährlich ein herausragendes Werk internationaler Gegenwartsliteratur in deutscher Erstübersetzung aus.

Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin zeichnet jährlich ein herausragendes Werk internationaler Gegenwartsliteratur in deutscher Erstübersetzung aus.

Foto: (g_kultur

Berlin/Trier. Es ist eine großartige Auszeichnung, die die aus Trier stammende Übersetzerin Lena Müller erhalten hat. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt hat die Übersetzerin sowie die in Indien geborene Autorin Shumona Sinha für ihren Roman "Erschlagt die Armen!" mit dem Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet. Der Preis ist mit insgesamt 35 000 Euro dotiert; die Übersetzerin des Romans, Lena Müller, erhält davon 15 000 Euro. "Wir freuen uns sehr über den gemeinsamen Erfolg", sagte Lena Müller dem TV. Sie hat im Jahr 2002 am Auguste-Viktoria-Gymnasium in Trier Abitur gemacht, einige Jahre in Frankreich gelebt und als Freie Autorin und Übersetzerin schon mehrere Romane ins Deutsche gebracht.

"Erschlagt die Armen!" ist 2011 in Frankreich erschienen. Es hat für Furore gesorgt und die Autorin ihren Job gekostet. Schriftstellerin Sinha, die seit 2001 in Paris lebt, verarbeitet darin ihre Erfahrungen als Dolmetscherin in einer Asylbehörde. Reflektiert die Geschichten zwischen Märchen und Wahrheit, die über ein Schicksal entscheiden, und die Vorschriften, die Flüchtlinge zwingen, der Behörde bestimmte Antworten zu geben. Als Lena Müller "Erschlagt die Armen!" nach einer Empfehlung ihrer Lieblingsbuchhandlung in Paris las, hat sie, wie sie dem TV erzählt, "die kraftvolle, poetische Sprache und die sehr subjektive, wütende Erzählperspektive beim Lesen fasziniert". Ihr gefiel die literarische Innenansicht des Asylsystems - "dass wir über die Ich-Erzählerin Einblicke in die Absurdität der bürokratischen Verwaltung von Asylgesuchen bekommen. Das Buch zeigt ja, dass der Zwang zur ‚richtigen' Geschichte beim Asylantrag viele Menschen in eine sehr schwierige Lage bringt, in der sie sich selbst verleugnen müssen, weil ihre Fluchtgründe nicht ganz mit den Aufnahmekriterien zusammenpassen. Das hatte ich in der Intensität noch nie gelesen."

Es ist der Initiative von Lena Müller zu verdanken, dass der politisch hochaktuelle Roman dann auch auf Deutsch erschien - sie fertigte eine Übersetzungsprobe an und suchte einen Verlag. Als das Werk dann im August 2015 in der Edition Nautilus erschien ("eine sehr schöne Zusammenarbeit"), traf es mitten in den Ansturm von Flüchtlingen hierzulande. Die politische Lage in Deutschland habe die Aufmerksamkeit für ihr Werk nochmal gesteigert, glaubt Lena Müller: "Viele Menschen sind auf der Suche nach einem eigenen Umgang mit der Aufnahme von geflüchteten Menschen in Deutschland und Europa. ,Erschlagt die Armen!'* wirft beim Lesen viele Fragen auf und gibt eigentlich keine Antworten. Aber durch die Schönheit der Sprache und die Konfrontation mit der ambivalenten, wütenden Ich-Erzählerin ermöglicht das Buch nochmal eine ganz andere Auseinandersetzung mit dem Thema."

Die Jury für den Internationalen Literaturpreis des vom Bund finanzierten Hauses der Kulturen in Berlin wählte "Erschlagt die Armen!" aus 151 Titeln aus. Ihre Begründung: "Wenn die Wahrheit nicht ins Schema passt, bekommt die Sprache eine ungeheure Bedeutung für die Identität: Shumona Sinhas Roman über eine Dolmetscherin in einer französischen Einwanderungsbehörde erzählt schonungslos, wertend und nicht dokumentarisch von einer Maschinerie, in der keiner der Beteiligten eine Chance auf Gerechtigkeit hat. Sinhas Reflexionen zu Entfremdung, Asylsystem und Vermittlern sind einzigartig und aktuell. Lena Müller hat die raue Prosa der aus Indien eingewanderten Französin mit all ihren wütenden, schon im von Baudelaire geliehenen Titel anklingenden literarischen Widerhaken kraftvoll ins Deutsche gebracht." Das Haus zeichnet gemeinsam mit der Stiftung Elementarteilchen (Hamburg) jährlich einen herausragenden Titel internationaler Gegenwartsliteraturen in deutscher Erstübersetzung aus.
Der Preis soll am 25. Juni in Berlin überreicht werden. Bereits im August wird der nächste Roman von Shumona Sinha auf Deutsch erscheinen: "Kalkutta". Übersetzt wurde er von Lena Müller.Extra

 Lena Müller.Fotos (2): Haus der Kulturen der Welt Berlin, Philippe Soubias (1)

Lena Müller.Fotos (2): Haus der Kulturen der Welt Berlin, Philippe Soubias (1)

Foto: Phlippe Soubias (g_kultur

Lena Müller, geboren 1982, stammt aus Trier, hat hier im Jahr 2002 Abitur gemacht. Sie studierte Literarisches Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim und Erwachsenenbildung und Kulturvermittlung in Paris. Sie ist seit 2009 Mitherausgeberin und Redakteurin der französischsprachigen Zeitschrift "timult". Seit 2012 arbeitet sie als freie Übersetzerin und Autorin. 2013 war sie Stipendiatin im Goldschmidt-Programm für junge Literaturübersetzer, 2015 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium im Europäischen Übersetzer-Kollegium Straelen. Nach "Erschlagt die Armen!" hat sie zwei weitere Romane übersetzt, die dieses Jahr erscheinen: "Tram 83" von Fiston Mwanza Mujila, das sie gemeinsam mit Katharina Meyer übersetzt hat, und "Kalkutta", der zweite Roman von Shumona Sinha. Im Roman "Erschlagt die Armen!" von Shumona Sinha zieht eine junge dunkelhäutige Frau, die als Dolmetscherin in der Pariser Asylbehörde arbeitet, einem Migranten in der Metro eine Weinflasche über den Kopf. Auf der Polizeiwache findet sie sich auf der anderen Seite des Verhörtisches wieder: Was ist die Wahrheit, welches sind die Beweggründe für die Tat? Fragen, die sie tagtäglich für die Geflüchteten, zumeist Männer, übersetzen muss - die Antworten, die sie den Sachbearbeiterinnen dolmetscht, klingen alle gleich; feine Nuancen sollen Zeichen sein für gekaufte Geschichten oder bittere Realität. Das Werk der 1973 in Kalkutta geborenen und in Paris lebenden Autorin Sinha wurde mehrfach ausgezeichnet. Die Autorin verlor nach der Veröffentlichung ihren Job als Dolmetscherin in einer Asylbehörde. Ihr Roman "Calcutta" erscheint im August auf Deutsch. aheu

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