Kultur Krisen und der Glaube an ihre Überwindung

Trier · In neuem Gewand: Leonard Bernsteins „Mass“ beim Mosel Musikfestival in St. Maximin.

Das FBI gab eine Warnung ans Weiße Haus heraus: Der Präsident solle besser nicht der Uraufführung beiwohnen, denn das Stück enthalte unmissverständliche Anti-Kriegs- und Anti-Establishment-Botschaften. Richard Nixon, der erste und vorläufig letzte Republikaner-Präsident, der sein Amt wegen verbrecherischer Machenschaften aufgeben musste („Watergate“), verzichtete denn auch auf einen Besuch der Premiere vom neuesten Werk Leonard Bernsteins, über den die staatlichen Wachhunde – er galt als links und erklärter Gegner des Vietnam-Kriegs – ohnehin schon eine umfangreiche Akte angelegt hatten.

Dabei war das neue Werk, auf das der Präsident verzichtete, schlicht und einfach und ganz unverdächtig „Mass“ überschrieben. Auch der Untertitel deutete nicht auf Skandalöses hin: „Ein Theaterstück für Sänger, Schauspieler und Tänzer“. „Mass“ bedeutet auch Menge, Masse – die der Gemeindemitglieder, der Leute von der Straße („Street People“), die die Hauptfigur, der Zelebrant, um sich schart, um mit ihnen eine Messe zu feiern. 200 Künstler waren es bei der Uraufführung in Washington 1971 anlässlich der Eröffnung des „John F. Kennedy Center for the Performing Arts“ (Jeden von ihnen hat der Komponist am Ende der Vorstellung umarmt). Die Witwe des Namensgebers, Jacqueline, hatte Bernstein, den eine lange Freundschaft mit der Kennedy-Familie verband, um eine Einweihungs-Komposition gebeten. Viel Zeit blieb ihm für die Fertigstellung allerdings nicht.

Nichtsdestoweniger schuf Bernstein in kürzester Zeit ein Werk, das vom Premierenpublikum einhellig bejubelt wurde. Die Rezensenten allerdings waren – wie so oft – unterschiedlicher Ansicht. Harold C. Schonberg, lange Jahre (gefürchteter) Musikkritiker der New York Times, maulte, er habe nur „eine Melange von Stilen, kurzen, schicken, sentimentalen Kombinationen von Oberflächlichkeit und Überheblichkeit gehört“. Sein Kollege von der Zeitschrift New Yorker, Winthrop Sergeant, gab sich versöhnlicher beziehungsweise verständnisvoller: „Ich glaube, das ist ein Kunststück für einen Komponisten der Gegenwart, einen Stil zu entwickeln, der sowohl seine Persönlichkeit zum Ausdruck bringt als auch ihm die Möglichkeit gibt, intensiv mit seinem Publikum zu kommunizieren.“

In der Tat ist „Mass“ eine Art Patchwork sowohl in religiöser, musikalischer und stilistischer Hinsicht. In dieser Messe treffen Menschen unterschiedlicher Schichten, Ethnien und Religionen zusammen. Der Komponist stellt Kunstmusik neben Pop- und Rockklänge und durchmischt sie mit Kirchen- und Chormusik. Doch die alles überspannende Friedensmission lautet: „Gott zu preisen ist der Kern aller Religionen und stiftet Gemeinschaft“ – eine Botschaft, die fast ein halbes Jahrhundert später, im Zeitalter mordender Religionseiferer, nichts von ihrer Aktualität verloren hat.

Die Trierer Version der „Mass“ ist eine wahrhaft internationale Produktion, die in einigen wesentlichen Punkten von der Ur-Fassung abweicht. Die lettische Regisseurin Rezija Kalnina hat eine Version ihrer ebenfalls aus Lettland stammenden Regie-Kollegin Margo Zalite übernommen. Zum einen weist der Untertitel konkreter auf die Absicht der Komposition hin: „Zweifel und der Wunsch nach Frieden“. Die Rolle des Zelebranten wird nicht von einem Bariton gesungen, sondern von der Mezzosopranistin Dima Orsho. Dass die Sängerin aus Syrien stammt, verleiht dem Werk eine weitere Bedeutungsebene, wünschen sich ihre Landsleute derzeit doch nichts sehnlicher als „eine friedliche, neue Ordnung“, wie es in der Programmankündigung des Mosel Musikfestivals heißt. „So könnte man die weibliche Protagonistin in Anleh­nung an Richard Wagners ,Der Ring des Nibelungen‘ als eine Art Erda betrachten“, heißt es weiter, „die das un­weigerliche Ende kommen sieht, sich jedoch als Urmutter schützend vor alle stellt. Der Aspekt des Mütterlichen, der die Hoffnung nährt, ist somit ebenfalls Teil des Konzepts.“ Damit wird natürlich noch eine weitere Reibungsfläche in die Vorstellung einbezogen, denn es stellt immer noch eine Provokation dar, wenn eine Frau als Priesterin in einer katholischen Messe auftritt – und sei es auch nur auf dem Theater. Dirigiert wird die „Mass“ vom Libanesen Bassem Akiki; für die Choreographie zeichnet die ebenfalls aus Lettland stammende Linda Kalnina verantwortlich.

Die Vorstellung ist am Samstag, 4. August, 20 Uhr, in der ehemaligen Abteikirche St. Maximin; Karten gibt es im TV-Service-Center, unter der Ticket-Hotline 0651/7199-996 sowie unter www.ticket.volksfreund.de

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