Literatur Der Wahnsinn auf hoher See

Juni 1828. Ein Schiff läuft im Hafen der irischen Stadt Cove ein, beladen mit Leder – und sieben verstümmelten Leichen. An Bord zwei Matrosen, die sich retten konnten, drei traumatisierte Schiffsjungen, ein todkranker Junge als Passagier; der Kapitän auf der Flucht. Bei den Ermittlungen wird schnell klar: Er wurde zum Mörder, da er eine Meuterei witterte. Doch war dem wirklich so oder ist der berühmte, sonst als besonnen und nachsichtig geltende Kapitän dem Wahnsinn auf hoher See verfallen?

 Cover Sieben Lichter

Cover Sieben Lichter

Foto: TV/Verlag

Wer genau der Protagonist in Alex­ander Pechmanns 161-seitigen Werk ist, erfährt man bis zum Ende nicht. Nur so viel: er hat eine Schwester, die gerade frisch verheiratet wurde mit dem berühmten Arktisforscher und Theologen William Scoresby, mit dem er sich in ständiger, ungleicher Konkurrenz sieht. Wahrscheinlich lässt er sich nur deswegen von selbigem überreden, sich den Fall auf der Mary Russell anzuschauen. Schnell kommen erste Fragen bei Schwager und namenlosem Ich-Erzähler auf: der Kapitän ist zwar augenscheinlich zweifellos der Täter, doch warum erschlug und verstümmelte er fast seine gesamte Besatzung? Gab es ein handfestes Motiv wie eine geplante Meuterei oder liegt der Grund für seinen wahnsinnigen Ausbruch viel weiter zurück in seiner Vergangenheit? Der Roman von Alexander Pechmann ist auf eine sympathische Art aus der Zeit gefallen und soll „eine Hommage an die klassischen Abenteuergeschichten und Schauerromane von Robert Louis Stevenson, Rudyard Kip­ling und Arthur Conan Doyle“ darstellen. Gleichzeitig beruht die Geschichte von Pechmann auf einem wahren Kriminalfall, was es noch schwieriger macht, sich der galanten, sogartigen Schreibweise zu entziehen. Auch wenn das Ende und die „Lösung“ des Falls, ohne zu viel vorwegzunehmen, aus heutiger Sicht ein leeres, enttäuschendes Gefühl hinterlassen könnten, sind sie doch stimmig mit der eigentlichen Herangehensweise des Autors: ein Lesegefühl aus alten Tagen wiederzuerwecken. Als Wahnsinn und mentale Gesundheit noch genauso rätselhaft erschienen wie Geschichten über den Klabautermann. Als übertriebene Ehrfurcht vor Rang und Namen noch zur fragmentarischen und vorsichtigen Aufklärung eines Mordes gehörten wie die Ungeheuer auf Seefahrerkarten. Dennoch kann „Sieben Lichter“ nicht mit seinen großen Vorbildern mithalten. Was zum einen an der Aufgeklärtheit des modernen Lesers und Schreibers liegen kann, zum anderen daran, dass das Gefühl romantischer Nostalgie intensiver ist als ein halb-schauerliches Who-dunnit-Miträtseln. Die Leser von heute sind einfach härteres gewohnt.

Stefanie Braun

Sieben Lichter, Alex­ander Pechmann, Steidl Verlag, 18 Euro

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