Kultur Starke Inhalte, zu kleine Schrift - Die Marx-Ausstellung im Landesmuseum (Video/Fotos)

Trier · Seit einem Monat läuft die Marx-Ausstellung im Landesmuseum. Viele Besucher freuen sich über den hervorragenden Überblick zu den Ereignissen und Lebensbedingungen des 19. Jahrhunderts. Auch Marx-Biograf Jürgen Neffe ist beeindruckt. Kritik hagelt es wegen schlecht zu lesender Beschriftung.

Die Karl-Marx-Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier zeigt vor dem historischen Kontext, wie die Ideen des Philosophen entstanden.

Die Karl-Marx-Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Trier zeigt vor dem historischen Kontext, wie die Ideen des Philosophen entstanden.

Foto: TV/Katharina de Mos

Die Hitze bleibt draußen. Kühl und dunkel ist es im Rheinischen Landesmuseum, wo eine riesige rote Leinwand die Besucher empfängt, nachdem sie die geschwungene Steintreppe erklommen haben. „Kennen Sie Karl Marx?“, lautet die Frage, mit der die Leinwand sie konfrontiert, ehe sie den ersten Raum betreten.

Na klar! Jeder kennt Karl Marx! Rauschebärtiger Schreck des Bürgertums. Ikone der Kommunisten, Kommunarden und Antikapitalisten. Tausendfach in Bronze gegossen, auf Tassen, Poster und Jutebeutel gedruckt. Von den einen als Held verehrt, von den anderen als Anstifter zu millionenfachem Mord verteufelt.

Doch all das interessiert in der Ausstellung nicht. Sie befreit Marx vom Ballast der Zeit, die nach ihm kam. Sie zeigt nicht, was aus seinen Ideen wurde. Nein, sie erklärt in 13 Sälen mit 300 Exponaten, wie, wo und warum diese Ideen überhaupt entstehen konnten. Im Europa des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit enormer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umbrüche. Eine Zeit, in der die Region Trier plötzlich nicht mehr unter französischer, sondern preußischer Herrschaft stand. Für viele eine Zeit des Elends.

Nicht jedoch für das Bürgertum, dem auch Marx angehörte, der 1818 als Sohn eines jüdischen Anwalts in Trier geboren wurde. Für die „Bourgeoisie“ boten sich ganz neue Chancen. Auch in der Region lösten Maschinen Handwerksbetriebe ab, die Dampflok aus den Berliner Borsigwerken trat ihren Siegeszug an. Zu sehen ist eine Büste Borsigs, eine Miniatur-Dampflok sowie Porträts reicher Unternehmer von der Saar und der Mosel, in deren Hintergrund die Fabrikschlote rauchen.

Dass diese Zeit auch ihre Schattenseite hatte, erklärt plakativ ein in tiefes Schwarz getauchter Raum, mit stilisierten, ärmlichen Hütten: Große Teile der Bevölkerung verelendeten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie wurden ausgebeutet, arbeiteten für Hungerlöhne. Das erste Porträt eines einfachen Webers von Adolph von Menzel erinnert an die Weberaufstände des Jahres 1844 in Schlesien, eine große Fahne an das Hambacher Fest, bei dem 1832 mehr als 20 000 Menschen einen demokratischen Nationalstaat forderten. Was sie bekamen, waren eine noch schärfere Pressezensur und noch mehr Verbote. Das spürte auch Marx unmittelbar, der mit spitzer Feder für die Rheinische Zeitung schrieb.

Die Missstände seiner Zeit, die enorme Spaltung der Gesellschaft in wenige Reiche und viele Arme und auch die Freundschaft mit Friedrich Engels brachten ihn dazu, sich intensiv mit ökonomischen Fragen und sozialistischen Ideen auseinanderzusetzen. Ein intensiv rot-blauer, in Schwarzlicht getauchter Raum erklärt, was es mit dem Manifest der kommunistischen Partei auf sich hat. Schüler betreten ihn flüsternd, als wären sie in der Kirche. Sie überfliegen die auf große Zahnräder geschriebenen Texte, die erklären, was Marx unter Proletariat oder Diktatur verstand, schauen einen Animationsfilm und blättern in rot-blauen Lesexemplaren des Manifests. Ein Buch, das in alle nur erdenklichen Sprachen übersetzt wurde. Nicht nur ein kaum zu entziffernder, von Marx mit Hand geschriebener Entwurf ist zu sehen (ein Exponat, das übrigens Unesco-Weltdokumentenerbe ist), sondern auch zig unterschiedliche Ausgaben des Buches: in dänischer ebenso wie in luxemburgischer Sprache, auf Faröisch, in Esperanto und selbst in japanischer Braille-Schrift.

Apropos Schrift. Sie ist das größte Manko der Ausstellung: Zu klein, zu schlecht beleuchtet, zu schwer zu entziffern sind die Beschreibungen der Exponate. „Eine Zumutung für Ältere“, schreibt ein Besucher im Gästebuch, man brauche Lupe und Taschenlampe, klagt ein anderer, und viele schließen sich ihnen an.

Inhaltlich jedoch gibt es so gut wie keine Beschwerden. Im Gegenteil. Die meisten, die sich ins gut gefüllte Gästebuch eintragen, sind begeistert: „sehr gelungen“, „beeindruckend“, „ausgezeichnet“, „lehrreich“, „tolle Exponate“ und „megatoll, weil man hier alles gut verstehen kann“, steht da. Der bekannte Marx-Biograf Jürgen Neffe schreibt: „Bin sehr beeindruckt. Weit über meinen Erwartungen.“ Und Nicole Sperk, die extra aus der Pfalz angereist ist, gefällt besonders gut, dass Marx’ Ideen in den historischen Kontext eingebettet werden.

In chronologischer Reihenfolge geht es weiter – vorbei an Holzbarrikaden und preußischen Waffen durch die gescheiterte Märzrevolution des Jahres 1848, vorbei an technischen Neuerungen, die die Welt immer kleiner machten: Telegrafenkabel und Reliefschreiber sorgten dafür, dass Nachrichten nur noch Minuten statt Wochen brauchten. Eine Technik, von der auch Marx profitierte, der als Korrespondent für die New York Daily Tribune arbeitete. Hin zu Marx zentralem Werk „Das Kapital“. Eine Erstausgabe mit handschriftlichen Anmerkungen des Autors ist einer der Höhepunkte der Schau. Zu sehen ist sie in einem blau-roten Saal mit Lesepulten, an denen man sich ins Kapital vertiefen kann. Auf die Wände wurden die Buchtitel geschrieben, die Marx in seiner Privatbibliothek stehen hatte. Eine beeindruckende Sammlung.

Die Schüler sind schon längst wieder weg. Viel Gelegenheit zur Interaktion bietet die Ausstellung ihnen nicht. Nicht einmal die große Marx-Maschine, die mit surrenden Fließbändern anschaulich erklärt, wie der kapitalistische Produktionsprozess funktioniert. Man kann sich nicht hineinsetzen, keine Hebel ziehen, keine Knöpfe drücken, sondern lediglich beobachten, wie sich die beschrifteten Förderbänder bewegen: Aus Ware wird Geld, davon wird Lohn gezahlt, übrig bleibt Profit, und wenn man diesen investiert, so wird er zu Kapital.

Dass die Probleme, die Marx beschrieb, in vielen Teilen der Welt noch heute aktuell sind, zeigen Filme über Arbeiter in costa-ricanischen Ananasfeldern, in französischen Schlachthäusern, afrikanischen Minen, türkischen Textilfabriken. Kurz vorm Ausgang erklingt die Internationale: „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht ...“ und dann taucht wieder eine Frage auf: „Wer ist Karl Marx?“, wollen die Ausstellungsmacher wissen. In der berechtigten Annahme, dass die Besucher dies nun besser beantworten können als ein, zwei Stunden zuvor.

Und doch sind die Antworten so unterschiedlich wie die Besucher: „Ein ganz großer Vordenker“, „Ein quanter Hautz“, „Genie, Revolutionär, Befreier der Menschen“, „Ein kritischer Journalist“, „Aktueller denn je“, „Klar: ein Trierer“ und – wohl zur Zufriedenheit der wissenschaftlichen Leiterin Beatrix Bouvier und der Kuratorin Barbara Wagner – steht dort auch: „ein Kind seiner Zeit“.

Die Ausstellung „Karl Marx 1818 bis 1883. Leben. Werk. Zeit.“ ist bis zum 21. Oktober im Rheinischen Landesmuseum (12 Euro) und im Stadtmuseum Simeonstift (8 Euro) zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, Feiertage: 10 bis 18 Uhr, Angemeldete Gruppen ab 9 Uhr. Kombiticket 16 Euro.

 Das erste Arbeiterbildnis überhaupt: Adolph von Menzel porträtierte 1844 einen Weber in typischer Tracht.

Das erste Arbeiterbildnis überhaupt: Adolph von Menzel porträtierte 1844 einen Weber in typischer Tracht.

Foto: TV/Katharina de Mos
 Auf der Schattenseite: Düstere Hütten symbolisieren das Elend, in dem im 19. Jahrhundert viele lebten.

Auf der Schattenseite: Düstere Hütten symbolisieren das Elend, in dem im 19. Jahrhundert viele lebten.

Foto: TV/Katharina de Mos
Die frühe kapitalistische Produktion kümmerte sich wenig um das Wohl der Arbeiter. Trotz solcher Masken wurden viele Minenarbeiter todkrank.

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Foto: TV/Katharina de Mos
 Eine Zeit riesiger Veränderungen: Telegrafen-Reliefschreiber ermöglichten schnelle Kommunikation.

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Foto: TV/Katharina de Mos
 Porträts reicher Industrieller. Vorne: August Borsig, der Dampfmaschinen und Lokomotiven baute.

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Foto: TV/Katharina de Mos

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