Literatur Mit Sinn für den alltäglichen Wahnsinn

 Wittlich · Ein  literarisches Highlight bescherte das Eifel-Literatur-Festival seinem Publikum mit Saša Stanišic in der Wittlicher Synagoge.

 Saša Stanišić im Gespräch mit Festival-Chef Josef Zierden.

Saša Stanišić im Gespräch mit Festival-Chef Josef Zierden.

Foto: TV/Foto: Eva-Maria Reuther

Da steht er im Hemd und grünen Pullunder, genau dem, in den er an diesem Abend eine seiner  Figuren kleidet. Eigentlich steht er nicht nur da. Er liest auch aus seinem neuen Buch „Fallensteller“. Aber nicht mal das trifft es genau. Saša Stanišics Vortrag ist eher eine Leseinszenierung, gestenreich, klangfarbig bunt und mit offenkundiger Freude am Zusammenspiel von Wort und Geste. Das Lesepult oben auf der Bühne, hinter dem er steht, verleiht seinem Vortrag etwas Gewichtiges.  Zum Eifel-Literatur-Festival ist der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende Autor in die bis auf den letzten Platz besetzte Wittlicher Synagoge gekommen. Er genieße solche Veranstaltungen, erklärt Stanišic auf Rückfrage von Festival-Chef Josef Zierden, der einmal mehr ein  grenzübergreifendes Publikum begrüßen kann. Natürlich hänge immer alles von den Leuten ab, schränkt der Autor ein. Die sind an diesem Abend  von seinem intelligenten Witz, seinem Sinn für Ironie und unfreiwillige Komik begeistert. Als Stanišic schließlich lesend seinen fiktiven „Autor mit Provinz­­erfahrung“ nach Wittlich und in die Eifel reisen lässt, wird es richtig gemütlich.

Der 1978 in Bosnien-Herzogowina geborene Schriftsteller ist mit seinen 40 Jahren ein Erfolgsautor. Mit seinen Eltern kam er 1992 als Flüchtling während des Bosnienkrieges nach Deutschland. Heute lebt er in Berlin. Gleich sein Debütroman „Wie der Soldat das Grammophon repariert“, sorgte für Aufsehen. Sein zweiter Roman „Vor dem Fest“  bescherte ihm den Preis der Leipziger Buchmesse  2014 und nominierte ihn für den Deutschen Buchpreis. Inzwischen besitzt Stanišic eine ganze Sammlung an Preisen, darunter den Adalbert von Chamisso-Preis und den renommierten Alfred-Döblin-Preis. Dass er auch noch Bestsellerautor eines großen Nachrichtenmagazins ist:  geschenkt.

 Eine Mischung aus Lesung und Gespräch hatte sich – so Zierden – der Autor gewünscht. Wie sich  bei der Unterhaltung mit dem Festival-Chef herausstellt, ist der hochgewachsene Mann mit dem Schalk im Gesicht ein ebenso guter Gesprächspartner wie Schöpfer poetischer Welten. Mit Wärme und Dankbarkeit spricht der Fußballfan, dessen Deutschwortschatz immerhin bei der Flucht schon aus dem Namen Lothar Matthäus bestand, von seiner mutigen, ihm zugewandten Familie und seinem ihn fördernden Deutschlehrer. Fast automatisch steht die Frage zur Diskussion: Wie sehr sind der Autor und sein literarisches Personal identisch? Die Antwort war die bekannte. Er ist in allem und doch ein ganz eigener, außerhalb des poetischen Kosmos Stehender. Folgerichtig mahnt Stanišic, sich doch auf das Werk statt auf Ähnlichkeiten mit der Person des Autors zu konzentrieren. Wie in seinen Büchern beeindruckte auch hier die kluge Weltsicht und entwaffnende Offenheit des Schriftstellers. Preise  seien vor allem gut fürs Geschäft, stellte Stanišic fest. Sogar das uckermärkische Fürstenfelde, der Ort seines zweiten Romans,  profitiere von dessen Bekanntheit touristisch.  Schließlich dann die Lesung aus dem „Fallensteller“, Stanišics neuem Buch, das sich nicht wirklich zwischen Erzählband und Roman entscheiden kann und in dem das Personal aus „Vor dem Fest“  neuerlich auftaucht. Als Miniatur verdichtet sich darin, was das großartige Format des  Schriftstellers ausmacht.

 Wie sein verstimmter Georg Horvath ringt er mit der Sprache und feilt an ihr. Auf höchst empathische Art kreist er seine Charaktere ein und kommt ihnen auf Atemlänge nah.  Mit feiner Ironie und einem wunderbaren Sinn für den ganz alltäglichen Wahnsinn ist er Chronist und Deuter heutiger und vergangener Verhältnisse. Stets ist er auf der Suche nach der eigenen Identität  und der der anderen. Einmal mehr zeigte sich in Wittlich: Wie wenige versteht Stanišic, die menschliche Tragödie meisterlich ins Gewand der Komödie zu kleiden.  Zudem ist er einer, der mit großer poetischer Kraft, Natur und Zivilisation zu versöhnen sucht. Einer, der sich dem Verfall stellt, ohne Arkadiens Idylle aus den Augen zu verlieren.

Großartig zu erfahren ist das in seiner Erzählung „Die Fabrik“. Eine literarische Sternstunde. Geduldig signiert der Autor zum Schluss einer schier endlosen Schlange seine Bücher.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael Bolton Vom erwischt werden
Aus dem Ressort