Gesprächsreihe „Einblicke“ Ex-Bundesminister Norbert Blüm in Bitburg: „Ohne europäische Einheit fliegt uns die Welt um die Ohren“

Bitburg · Mit dem ehemaligen Bundesminister Norbert Blüm konnte Kulturamtsleiters Herbert Fandel in seiner Gesprächsreihe „Einblicke“ seinen prominentesten Gesprächspartner in Bitburg begrüßen.

 Kulturamtsleiter Herbert Fandel mit dem ehemaligen Bundesminister Norbert Blüm

Kulturamtsleiter Herbert Fandel mit dem ehemaligen Bundesminister Norbert Blüm

Foto: TV/Christian Moeris

Fandel: „Möchten Sie ein Bier?“ Blüm: „Wenn es nichts kostet!“ Das Publikum im Saal des Hauses Beda kreischt.

Der ehemalige Bundesminister für Arbeit und Soziales, Norbert Blüm, punktet bei der Gesprächsreihe „Einblicke“ des Kulturamtsleiters und ehemaligen FIFA-Schiedsrichters Herbert Fandel schon bei Anpfiff mit trockenem Humor. Mit Blüm, der die gesamte Ära Kohl von 1982 bis 1998 das Ministeramt bekleidete, begrüßt Fandel wohl einen seiner bislang hochkarätigsten Gäste in Bitburg. Flankiert von den bohrenden Fragen des Ex-Schiris hält Blüm das Publikum im ausverkauften Saal mit seinen tiefgehenden Antworten in Atem. Von seinen Lausbubenstreichen als Messdiener, als er dem Pfarrer Schwarzpulver unter den Weihrauch mischte, bis zum Zerwürfnis mit Alt-Kanzler Helmut Kohl in der CDU-Spendenaffäre: Tabus gibt es am Donnerstagabend keine. Blüm gewährt den Bitburgern bemerkenswerte Einsichten in seinen Lebensweg und seine Person, wobei sich der Großteil des knapp zweistündigen Gesprächs mit dem altgedienten Bundesminister selbstverständlich um politische Themen dreht.

Doch der Reihe nach: Fandels erste Frage nach Blüms Meinung zum Scheitern der Jamaika-Koalition hat der 82-Jährige schnell beantwortet: „Für mich gibt es einen Schuldigen: die FDP. Die will sich aus dem Staub machen. Das ist zwar eine fatale Lage. Aber mit Panik ist da jetzt nichts zu machen.“

Dann kommt Fandel auf Donald Trump, Präsident der Vereinigten Staaten, und seine Agenda „America first“ zu sprechen. „Dieser Mann macht mir Angst, weil er unberechenbar ist und Politik wie ein Geschäft betreibt“, sagt Blüm. Trumps wirtschaftlicher Nationalismus begeistere ihn keineswegs. Mit gleicher Sorge blickt Blüm auch auf nationalistische Tendenzen innerhalb Europas: „72 Jahre Frieden. Das gab es in Deutschland noch nicht. Wollen wir jetzt in Europa wieder die Grenzen schließen?“ Europa stehe nun an einer entscheidenden Stelle in der Geschichte, sagt Blüm: „Da brauchen wir eine starke Regierung – keine Minderheitenregierung oder große Koalition.“ Wie Blüm das Publikum wissen lässt, gründet seine Leidenschaft für Europa zum großen Teil in seinen Kriegserinnerungen. Gebannt lauscht das Publikum seiner Erzählung, wie er sich als kleiner Bub im zweiten Weltkrieg während eines Bombenangriffs auf Rüsselsheim in den Luftschutzbunker rettete, während Brandbomben detonierten. „So eine Angst hatte ich sonst nie mehr in meinem Leben. Krieg: Können wir mit dem Irrsinn nicht aufhören?“ Blüm mahnt: „Wir müssen an der europäischen Einheit und dem Frieden festhalten, sonst fliegt uns diese Welt um die Ohren.“

Fandel: „Ich möchte ans Zentrum Ihres Lebens kommen: Wie kamen Sie in die Politik? Auf welche politischen Projekte Ihrer Dienstzeit sind Sie besonders stolz?“ Blüm geht direkt auf die zweite Frage ein: „Ich hatte das große Glück, mit der deutschen Einheit an der größten politischen Aktion dieser Jahre teilhaben zu dürfen und sie mitzugestalten.“ Die Wiedervereinigung sei nur geglückt, weil Abertausende über ihren eigenen Schatten gesprungen seien. Blüm: „Diesen Enthusiasmus konnten wir aber leider nicht bis in die Gegenwart erhalten.“

Natürlich kommt auch die Rente, eines von Blüms politischen Steckenpferden, zur Sprache: „Ich bin ja nicht gegen die Riester-Rente“, sagt Blüm, „aber die Grundlage geht nur solidarisch.“ Die Riester-Rente biete keine Antworten auf die Altersarmut, sagt Blüm, sondern helfe nur jenen, die sie sich leisten könnten.

Klartext gibt es auch zur Bildungspolitik und dem Thema Familie: „Die Gesellschaft hat die Familie von ihrer wichtigsten Aufgabe, sich um die Kinder zu kümmern, entlassen und die Erziehung auf die Schule übertragen“, sagt Blüm. „Aber wo, wenn nicht in der Familie, sollen Kinder Solidarität lernen?“ Es fehle der Gesellschaft nicht an Wissen, meint Blüm. Es fehle an Bildung für das, was in der Gesellschaft wichtig sei. Blüm: „Das sind Werte.“

Dass der altgediente Minister für Werte eintritt und seine Gesellschaftskritik nicht nur heiße Luft ist, beweist auch sein Standpunkt im Zerwürfnis mit Altkanzler Helmut Kohl in der CDU-Spendenaffäre, als Fandel gegen Ende des Gesprächs ans Eingemachte geht: „Zwischen Ihnen und Kohl herrschte letztlich Sprachlosigkeit?“ Blüm legt noch einen oben drauf: „Sprachlosigkeit ist noch gelinde gesagt. In seinen Memoiren spricht er nicht gut von mir.“ Doch für ihn habe es kein Argument gegeben, weswegen Kohl die Herausgabe der Namen der Parteikassen-Spender hätte verweigern dürfen. Blüm: „Er sagte, er habe den Spendern sein Ehrenwort gegeben. Aber selbst ein Ehrenwort darf nicht über dem Gesetz stehen!“ Trotz des Zerwürfnisses in der Spendengeldaffäre, sagt Blüm, zolle er Kohl wegen seiner großen Verdienste für die deutsche Einheit und Europa großen Respekt. Blüm: „Heute sehne ich mich nach solchen Politikertypen, die nicht durch eine Schablone gehen!“

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