Justiz 100 000 Kinderpornos und keine Erklärung

Bitburg · Das Amtsgericht Bitburg verhängt gegen einen Eifeler eine Bewährungsstrafe. Außerdem muss er sich in Therapie begeben.

 Amtsgericht Bitburg

Amtsgericht Bitburg

Foto: TV/Denise Juchem

Es ist Sonntag, der erste Januar 2017. Der 56-jährige Eifeler sitzt an seinem Computer, als er eine Nachricht bekommt. Er antwortet, obwohl er den Absender nicht kennt. Es sind nur wenige Worte, die die beiden im Chatroom wechseln. Doch sie werden das Leben des Mannes aus der Verbandsgemeinde Bitburger Land verändern.

Der Unbekannte fragt den Eifeler nach Kinderpornos. Wenige Sekunden später schickt der 56-Jährige ihm ein Passwort zu einem geschützten Ordner im Netz. Dort finden sich Fotos von einer nackten Achtjährigen auf einer Luftmatratze. Was der Eifeler nicht ahnt: Er hat die Bilder gerade nicht an einen Gleichgesinnten versendet, sondern an einen Ermittler aus der Schweiz.

Der Polizist einer Berner Spezialeinheit sucht im Internet gezielt nach Männern wie dem 56-Jährigen. Männern, die Kinderpornos von Online-Tauschbörsen herunterladen und unter Menschen mit ähnlichen Vorlieben verbreiten. Dass die Eidgenossen rund 450 Kilometer entfernt die Ermittlungen aufnehmen, die Daten an das Landeskriminalamt Wiesbaden weiterleiten – von all dem bekommt der Mann nichts mit.

Und so wird er einige Monate später von den Polizisten überrascht, die vor seiner Haustür stehen. Sie durchsuchen die Wohnung des Familienvaters. Und sie werden fündig. Mehrere Festplatten nehmen sie mit und lassen sie von einem Computerprogramm scannen. Das Ergebnis: Rund 110 000 Bilder und Videos, die Kinder in sexuellen Posen zeigen, werden sichergestellt.

Anklage und Verteidigung: So steht es in der Anklageschrift. Und diese Version der Ereignisse wird vor dem Amtsgericht Bitburg auch von niemandem angezweifelt – nicht mal vom Verteidiger des Eifelers, Clemens Louis. „Mein Mandant räumt den Besitz der Abbildungen ein“, sagt der Rechtsanwalt.

Es wird nicht das erste Mal sein, dass Louis diese Worte sagt. Denn der Essener Anwalt ist spezialisiert auf solche Fälle. Bundesweit verteidigt er Männer, die sich des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie schuldig gemacht haben.

Der Angeklagte: Heute übernimmt Louis das Reden für seinen Mandanten. Der Beschuldigte selbst sagt fast nichts. Auch nicht darüber, wie er mit den Kinderpornos in Kontakt gekommen ist. Er sei da so hinein geschlittert, erklärt sein Anwalt, wegen des Kicks von Erwachsenenpornos auf härtere, illegale Filme umgestiegen und dabei in einen „für viele unerklärlichen Bereich der Sexualität vorgestoßen“. Heute könne der 56-Jährige sich das selbst nicht erklären, der sich nach Angaben seines Verteidigers zuvor nie zu kleinen Mädchen oder Jungs hingezogen fühlte. Der 56-Jährige ist verheiratet, hat selbst drei Kinder und Enkel. „Mit denen ist der Umgang unbefangen?“, fragt ihn Richter Udo May. Der Angeklagte nickt und schaut auf den Tisch vor sich. Es ist kein Wunder, dass ihm der Blick auf die Zuschauer-Sitze nicht behagt. Der Saal ist gut gefüllt, auch mit Journalisten. „Etwas Peinlicheres kann es kaum geben“, sagt sein Anwalt, „als hier vor aller Augen seine Taten zu gestehen.“ Doch es hilft nichts. Das Amtsgericht muss in die Details der Aufnahmen einsteigen.

Das Material: Alle Filme und Bilder anzusehen, die sich auf dem Computer und den Festplatten des Eifelers befinden – das hat bisher allerdings kein Richter, kein Polizist, kein Anwalt und womöglich nicht mal der Angeklagte selbst geschafft. „Eine so große Menge habe ich noch nie gesehen“, sagt Staatsanwalt Thomas Albrecht. Die Anzahl sei entscheidend für das Strafmaß.

Nur ist die Zahl der Fotos und Videos nicht so leicht festzustellen, wie vor Gericht klar wird. Denn was ist Kinderpornografie und was nicht? Ein nacktes Mädchen, etwa beim Baden, würde in einem Familienalbum keinen Argwohn auslösen. In den Dateien des Eifelers finden sich solche vermeintlich harmlosen Fotos, aber auch welche eindeutiger Natur. Etwa Filme, die Missbrauch an Kindern zeigen. Das erklärt ein Sachverständiger der Trierer Polizei vor Gericht. Er hat die Dateien ausgewertet. Eine seriöse Schätzung, wie viele der sichergestellten Aufnahmen strafrechtlich relevant sind, kann er nicht treffen. Er liefert Richter May aber eine Annäherung. Die liegt bei weniger als 80 000 Abbildungen. Was noch immer eine beachtliche Zahl ist.

Das Urteil: Die Staatsanwaltschaft rechnet zugunsten des Angeklagten nur mit 30 000 Fotos. Der Polizei-Experte runzelt die Stirn, als Albrecht die Zahl in seinem Plädoyer nennt. Letztlich komme es aber nicht auf die Summe der Bilder oder Videos an, erklärt Albrecht. Dem stimmen Richter May und der Verteidiger des Angeklagten zu, der ergänzt: „Hinter jeder Abbildung steckt der Missbrauch eines Kindes.“ Überhaupt ist man sich heute vor Gericht überraschend einig – auch was das Strafmaß angeht. Louis fordert ein Jahr und drei Monate, Albrecht ein Jahr und sechs Monate. Letztlich folgt Richter May dem Vorschlag der Anklage. Die Strafe für den Eifeler wird zur Bewährung ausgesetzt, wie es beide Anwälte gefordert hatten. Der Grund: Der Beschuldigte hat einen Therapieplatz bei der Psychotherapeutischen Ambulanz der Trierer Justiz sicher – aber nur, wenn er auf Bewährung freikommt. Diese Chance wollte das Gericht ihm nicht versagen. Woher seine Neigungen kämen, wisse er selbst nicht, sagt der Verurteilte, aber er wolle es herausfinden. Überhaupt zeige er sich „einsichtig“, sagt der Staatsanwalt.

Nur eine Sache fehlte dem Richter: „ein Wort des Bedauerns.“ Doch eine Entschuldigung für seine Taten bleibt der Eifeler schuldig.

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