Gesundheit Zu wenig Pfleger und Ärzte: Große Sorgen um die Versorgung

Trier/Saarburg/Hermeskeil · Die Macher und Entscheider im Gesundheitssektor der Region Trier fürchten eine düstere Zukunft. Doch sie haben auch Ideen, wie es besser werden kann.

 Solche Szenen werden immer seltener: Altenpfleger Amera Kabara unterhält sich auf unserem Beispielbild aus einer Seniorenresidenz in Nordrhein-Westfalen mit der Bewohnerin Elisabeth Grohmann. Der Gesundheitssektor leidet unter einem enormen Fachkräftemangel in allen Bereichen der Pflege.

Solche Szenen werden immer seltener: Altenpfleger Amera Kabara unterhält sich auf unserem Beispielbild aus einer Seniorenresidenz in Nordrhein-Westfalen mit der Bewohnerin Elisabeth Grohmann. Der Gesundheitssektor leidet unter einem enormen Fachkräftemangel in allen Bereichen der Pflege.

Foto: picture alliance/dpa/Marius Becker

Eine Schiffstour auf der Mosel hat einen klaren Vorteil. „Niemand kann mittendrin einfach weglaufen“ – so sieht es Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe. Doch das meint er selbstverständlich nicht ernst. Die Gäste an Bord der Princesse Marie- Astrid, auf deren gleichnamiger Vorgängerin 1985 die Schengen-Verträge unterzeichnet worden sind,  denken am Mittwochabend aber auch nicht im Mindesten daran, wegzulaufen oder sich der Diskussion zu verweigern. Im Gegenteil. Leistungsträger des Gesundheitssektors der Stadt Trier und des Landkreises Trier Saarburg sind an Bord, und ihr Thema ist die aus ihrer Sicht düstere Zukunft der medizinischen Versorgung.

Die Tour Stadt und Kreis haben die fast vierstündige Schiffsreise und Debatte gemeinsam veranstaltet, Organisator ist das Trierer Amt für Stadtentwicklung und Statistik. Mit an Bord ist auch Diego Villalba de Miguel, stellvertretender Referatsleiter in der Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung der Europäischen Kommission. Er hört sich mit großer Sorgfalt und Geduld alle Wünsche, Appelle und Forderungen der regionalen Akteure an und nimmt eine klare Botschaft mit nach Brüssel: Viele Dinge müssen sich ändern.

Die Politiker Triers OB Leibe (SPD) eröffnet die Diskussion und formuliert dabei gewohnt bedacht. „Der demografische Wandel führt in der ländlichen Region Trier perspektivisch zu einer größeren Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und einer Verknappung des Arbeitskräftepotenzials.“ Landrat Günther Schartz (CDU) stimmt ihm zu: „Die dynamische Bevölkerungsentwicklung verlangt intensive Investitionen in Strukturen der Daseinsvorsorge.“

Die Kammern „Es ist fast zu spät“, sagt Markus Mai, der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz. Der Fachkräftemangel sei in allen Bereichen der Pflege eklatant. „Mehr als 37 Prozent der Pflegekräfte sind zudem älter als 50 Jahre“, betont Mai. Die Belastung der Pflegekräfte sei enorm, die Ausfallquoten durch Krankheit entsprechend hoch. „Fast die Hälfte der Ausfälle wird durch psychische Erkrankungen verursacht.“

Nicht nur die Pfleger, sondern auch die Ärzte stehen im Mittelpunkt der Diskussion. „Viele junge Mediziner sind nicht mehr bereit, sich mit einer eigenen Praxis niederzulassen, sondern arbeiten lieber als Angestellte in medizinischen Versorgungszentren“, erklärt Walter Gradel, der Vorstandsvorsitzende der Bezirksärztekammer Trier. „Um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, wird deshalb die Zahl dieser Zentren zunehmen müssen.“ In solchen Zentren arbeiten mindestens zwei Ärzte mit unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkten  zusammen. Wichtig für die Verwaltungen sowie Stadt- und Gemeinderäte: „Da diese Zentren häufig nicht kostendeckend arbeiten können, werde die Kommunen als Träger auftreten müssen.“

Der Arbeitsmarkt Hanna Theresa Kunze ist die Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt in der Trierer Agentur für Arbeit. Sie liefert die aktuellen Zahlen für die Stadt und den Kreis: „Insgesamt gibt es im Gesundheitssektor 15 500 Beschäftigte, das sind 275 mehr als im Vorjahr.“ Auch sie bestätigt ein „immer größer werdendes Ungleichgewicht zwischen Bedarf und Angebot“.

Die Macher Jörg Mehr, der Geschäftsführer des Klinikums Mutterhaus der Borromäerinnen in Trier, fordert eine „konsequente Digitalisierung“, eine Vernetzung der Krankenhäuser in ausgewählten Zentren, eine gemeinsame Aus- und Weiterbildung sowie eine grenzüberschreitende Kooperation mit Luxemburg „in einer gemeinsamen medizinischen und pflegerischen Ausbildung und der Forschung“.

Winfried Willinek, Chefradiologe im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier, tritt ein für eine Ausbildungskampagne, einen Studiengang Klinische Pflege in Zusammenarbeit mit der Uni Trier und anderen Krankenhäusern und eine generelle Ergänzung des Ausbildungsangebotes, beispielsweise eine Ausbildung operationstechnische Assistenz. „Wir müssen motivierte und qualifizierte Fachkräfte hierher bekommen, halten und fördern“, sagt Willinek. Die Barmherzigen Brüder werden ihr für 20 Millionen Euro erbautes Bildungsinstitut bald einweihen.

Albrecht Seiter ist ärztlicher Direktor im St. Josef Krankenhaus Hermeskeil. Seine Forderung: Die Krankenhäuser im ländlichen Raum brauchen mehr Geld. „Notwendige Investitionen müssen bezuschusst und Vorhaltekosten berücksichtigt werden.“ Kooperationen mit Partnern im Gesundheitswesen müssen ausgebaut werden.

Der kritischste Beitrag des Tages kommt von Harald Michels, dem Leiter des Gesundheitsamts Trier. „In den nächsten 10 bis 20 Jahren droht eine nicht mehr abwendbare Krise in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in der Region Trier“, sagt Michels. „Politisch kommt hier zu wenig.“ Die Ausbildungsquote der Medizinstudenten sei zu gering, ebenso wie die Bereitschaft der Ärzte, eigene Praxen zu gründen. Und: „Bereits heute gibt es Lücken im Netz der Apotheken.“ Michels fordert, die Kommunen müssen diese Probleme „nach oben“ zum Bund und zur EU tragen.

Kommentar

Die Wertschätzung muss steigen - und zwar schnell

Niedergelassene Ärzte tragen hohe Risiken und verdienen oft weniger als ihre angestellten Kollegen. Pfleger machen einen emotional enorm belastenden und in jedem Detail höchst anspruchsvollen Job, ihre Ausbildung umfasst doppelt so viel Theorie wie die eines KFZ-Mechatronikers oder eines Bankkaufmanns. Doch ihre Wertschätzung ist oft ebenso gering wie ihre Verdienst- oder Aufstiegsmöglichkeiten.

Wenn die Behandlung, Pflege und Versorgung kranker und alter Menschen einen Verdienst einbringt, dessen Höhe der Härte und der Bedeutung dieses Berufs entspricht, wenn die Arbeitsplätze attraktiv und familienorientiert sind, wenn die Gesellschaft die Pflege als unverzichtbaren Berufsweg akzeptiert, dann wird auch keine Versorgungskrise eintreten.

 Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe (rechts) eröffnet die Tagung auf der Princesse Marie Astrid.

Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe (rechts) eröffnet die Tagung auf der Princesse Marie Astrid.

Foto: Trierischer Volksfreund/Jörg Pistorius

j.pistorius@volksfreund.de

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