"Es kann noch einiges passieren"

Nach der jüngsten Umfrage des Südwestrundfunks wären erstmals sechs Parteien im Mainzer Landtag vertreten - doppelt so viele wie jetzt. Wie realistisch ist dieses Szenario, und was kann sich bis zum Wahltag in drei Monaten noch ändern? Darüber hat TV-Redakteur Rolf Seydewitz - unabhängig voneinander - mit den beiden Politikprofessoren Kai Arzheimer und Thorsten Faas gesprochen.

Nach den jüngsten Umfragen zur rheinland-pfälzischen Landtagswahl ist noch viel Bewegung drin - besonders bei den kleinen Parteien. Woran liegt das?
Kai Arzheimer: Viele Bürger wissen noch nicht, wie sie in einem Vierteljahr tatsächlich wählen werden. Außerdem gibt es in Rheinland-Pfalz als kleinem Bundesland nur wenige Vorwahlumfragen, naturgemäß mit einer großen Schwankungsbreite. Deshalb wissen wir (noch) nicht sehr genau, wie stark die Unterstützung für die Parteien ist.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass FDP, Linke und AfD im nächsten Landtag vertreten sind?
Thorsten Faas: Bei FDP und Linken steht es aktuell Spitz auf Knopf. Fünf Prozent in einer Umfrage heißen ja keineswegs, dass die Partei auch sicher diese fünf Prozent bekommt. Der starke Anstieg der AfD - plus drei Prozentpunkte - zeugt zudem davon, dass gerade diese Partei stark von aktuellen Stimmungen berührt wird, die sich natürlich ändern können. Kurzum: Das weiß man schlicht heute noch nicht.

Die Landes-CDU hat seit Monaten einen komfortablen Vorsprung vor der SPD. Inwiefern ist es denkbar, dass sich bis zum 13. März daran noch merklich etwas ändert?
Arzheimer: Der Wahlkampf hat ja noch nicht einmal richtig begonnen. Etliche Bürger werden noch unentschlossen sein, und SPD und Grüne werden selbstverständlich versuchen, die Wähler zu überzeugen, dass sie in den vergangenen Jahren gute Arbeit geleistet haben.

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD ihr Ziel, stärkste Partei zu werden, erreicht?
Faas: Aktuell sieht es danach nicht aus. Aber angesichts der großen Zahl unentschlossener Wähler kann es noch zu Verschiebungen der aktuellen Zahlen kommen. Letztlich wird aber der machtpolitische Ausgang der Wahl nicht an ein paar Punkten mehr oder weniger für SPD oder CDU hängen, sondern an der Frage, welche und wie viele der kleinen Parteien im nächsten Landtag vertreten sein werden.

Inwiefern gibt es eine Chance, dass die gegenwärtig recht stabilen Umfragewerte der einzelnen Parteien sich bis zur Wahl noch einmal deutlich ändern werden?
Faas: Die Stimmungslage ist alles in allem recht stabil - seit längerem. Gleichwohl: Je näher der Wahltag rückt, desto größer wird der Druck auf die noch Unentschlossenen, sich zu entscheiden. Gerade bei der knappen Gemengelage kommen dann auch noch taktische Erwägungen ins Spiel - es kann noch einiges passieren!

Viele Experten sagen, es gebe keine Wechselstimmung im Land: Welche Auswirkungen auf die Wahl hat das?
Arzheimer: Die beiden großen Parteien werden primär versuchen, ihre Stammwähler zu motivieren und zusätzliche unentschlossene, ungebundene und bisherige Nichtwähler zu aktivieren.

Welche Themen werden Ihrer Meinung nach den Wahlkampf bestimmen?
Arzheimer: Die Ministerpräsidentin ist weiterhin deutlich beliebter als ihre Herausfordererin, bei den jeweiligen Parteien ist es fast umgekehrt. Die CDU wird deshalb vermutlich noch einmal versuchen, die echten und vermeintlichen Fehler und Skandale der SPD (Hahn, Nürburgring ...) in den Vordergrund zu stellen und außerdem eine Verbindung zwischen Malu Dreyer und Kurt Beck herzustellen. Die SPD wird auf die niedrige Arbeitslosenquote, den Ausbau der Kinderbetreuung und die relativ reibungslos verlaufenden Reformen im Schulbereich verweisen.

Inwieweit kann der Sympathievorsprung Dreyers wahlentscheidend sein?
Faas: Das wird nicht zuletzt auch von der Themenlage und den Medien abhängen. Wenn es am Ende auf eine personelle Zuspitzung Dreyer gegen Klöckner hinausläuft, dann ist dieser Vorsprung natürlich bedeutend - ganz ähnlich übrigens wie in Baden-Württemberg bei Kretschmann. Wenn Themen wie die Flüchtlingsfrage die Agenda dominieren, gilt das nicht.

Inwiefern wird sich die Flüchtlingsdiskussion auf den Landtagswahlkampf und womöglich das Ergebnis auswirken?
Arzheimer: Beide Spitzenkandidaten haben hier in gewisser Weise Position bezogen, können aber nicht glaubwürdig Politik gegen die gemeinsame Bundesregierung betreiben. Außerdem wird die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik nicht in Rheinland-Pfalz entschieden. Es wäre deshalb unklug, das Thema im Wahlkampf in den Vordergrund zu stellen: Dies würde letztlich nur der AfD nutzen, die durch die Präsenz des Themas ohnehin einen gewissen Zulauf erhält.

… und die Diskussionen über Terrorangst und innere Sicherheit?
Arzheimer: Ähnlich sieht es mit der Diskussion über Terrorismus und innere Sicherheit aus: Dies sind bundespolitische Themen, die auf der Landesebene zwar immer eine gewisse Resonanz haben, aber am Ende des Tages in Berlin verhandelt werden. Dort sitzen - aller Voraussicht nach auch noch im März - beide Parteien gemeinsam am Kabinettstisch.

Trauen Sie sich eine Prognose für die Landtagswahl zu?
Arzheimer: Nach dem jetzigen Stand der Umfragen - und daran kann und wird sich noch einiges ändern - liegen Rot-Grün einerseits und die CDU andererseits etwa gleich auf. Vieles wird davon abhängen, ob und welche der drei kleineren Parteien - AfD, Linke und FDP - in den Landtag einziehen können. Wenn es bei drei Parteien bleiben sollte, kann eines der beiden Lager regieren, der Einzug einer weiteren Partei würde nach jetzigem Stand Rot-Grün oder eine CDU-Alleinregierung verhindern.

Wie wär's mit Schwarz-Grün?
Arzheimer: Dass es in Rheinland-Pfalz zu einer schwarz-grünen Zusammenarbeit kommt, halte ich in der momentanen Konstellation für unwahrscheinlich. Für Schwarz-Gelb würde es wahrscheinlich nur bei einem hervorragenden CDU-Ergebnis reichen. Deshalb könnte es im März letztlich auch hier zu einer großen Koalition kommen.

Auf welche Konstellation tippen Sie, Herr Professor Faas?
Faas: Eine große Koalition aus CDU und SPD geht natürlich immer - alles andere steht tatsächlich in den Sternen. sey
Extra

Kai Arzheimer ist Politikprofessor an der Mainzer Gutenberg-Universität. Forschungsschwerpunkte des 46-Jährigen sind unter anderem Wählerverhalten und Politikverdrossenheit in Deutschland sowie der Rechtsextremismus.

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft in Mainz. Der 40-jährige gebürtige Idar-Obersteiner gehört dem Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung an. sey

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