Justiz Weniger Klagen, aber nicht weniger Kummer

Trier/Koblenz/Mainz · Der höchste Richter des Landes warnt vor Last an Gerichten und greift wiederholt Integrationsministerin Anne Spiegel an.

 Die Zahl der Klagen von Asylbewerbern im Land geht zurück. Die Gerichte sitzen aber noch auf vielen alten Verfahren.

Die Zahl der Klagen von Asylbewerbern im Land geht zurück. Die Gerichte sitzen aber noch auf vielen alten Verfahren.

Foto: Friedemann Vetter

Geht es nach dem höchsten Richter des Landes, ächzt das Trierer Verwaltungsgericht auch in den kommenden Jahren unter der Last von Asylklagen. Ende 2018 schob das Gericht noch einen Bestand von 6242 Fällen vor sich her. „Das ist ein gewaltiger Rucksack“, sagt Lars Brocker, Präsident des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofs und des Oberverwaltungsgerichts. „Es würde allein zwei Jahre dauern, nur diese Fälle abzuarbeiten, ohne dabei neu eingehende Verfahren einzurechnen.“

Stärkste Herkunftsländer im Land, wo das Trierer Gericht über Asylklagen urteilt, waren im vergangenen Jahr Nigeria, Somalia, Pakistan, Afghanistan und der Iran. Syrien, von wo aus in den vergangenen Jahren Tausende Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland flohen, liegt nur noch auf Platz sechs. Die Zahl neuer Asylklagen ging zurück, sie sank im vergangenen Jahr in Rheinland-Pfalz von 14 355 auf 6110. Entwarnung gibt Brocker deswegen nicht. Weil die Fälle komplizierter werden, dauerte die Bearbeitung jedes einzelnen Falls im Schnitt 11,5 Monate, wo es im Jahr zuvor noch 6,4 Monate waren. „Das Trierer Gericht ist von einer Entlastung weit entfernt“, sagt Brocker. „Das sage ich gerne allen Schlaubergern, die nun wegen rückläufiger Asylklagen an unseren Stellen knabbern wollen.“

Rosig malt Brocker die Lage nicht. Deutschlandweit, so sagt er, seien 2016 und 2017 die meisten Verfahren pro Richter auf Rheinland-Pfalz entfallen. Wo das Land bei der raschen Bearbeitung aller Fälle lange auf dem ersten Platz gelegen habe, sei es zuletzt auf den siebten Rang gefallen. „Das ist schmerzlich“, meint der Richter, der aber Licht am Ende des Tunnels sieht. Brocker lobt das FDP-geführte Justizministerium dafür, die Vollzeitstellen an den Verwaltungsgerichten von 2016 bis 2018 von rund 51 auf 74 aufgestockt zu haben – besonders in Trier. Dabei verpasst der Mann mit dem SPD-Parteibuch zugleich den Genossen einen Seitenhieb, die das Ministerium in den zehn Jahren vor der FDP leiteten. Vor der neuen Führung habe es Stellenabbau gegeben, tadelt Brocker. „Erst jetzt haben wir den personellen Bestand am Trierer Verwaltungsgericht, den wir schon 2016 gebraucht hätten“, sagt der Jurist.

Freundschaftsbänder mit Anne Spiegel tauscht Lars Brocker dagegen in diesem Leben wohl kaum mehr aus. Im vergangenen Jahr warf der höchste Richter des Landes der rheinland-pfälzischen Integrationsministerin vor, Gerichtsurteile zu Abschiebungen nicht zu respektieren. Nun teilte der 51-Jährige erneut gegen die Grünen-Politikerin aus. Brocker tadelte den Austausch zwischen Behörden, wenn es um Asylfragen geht. Er hinterfragte, warum das Integrationsministerium die Justiz nicht über den Namen des Amsterdam-Attentäters benachrichtigt habe, der im August 2018 zwei Touristen aus den USA mit einem Messer schwer verletzt haben soll. Der Terrorverdächtige hatte einen Wohnsitz in Ingelheim, in Trier lief ein Asylverfahren gegen den 19-Jährigen. Das Ministerium habe dem Gericht trotz Nachfrage nicht mitgeteilt, wie der Name des Mannes laute, kritisiert Brocker. Das Innenministerium habe den Namen wiederum „in weniger als einer Stunde genannt“.  Der Richter kündigt an: „Ich werde mich künftig nur noch an das Innen- und Justizressort wenden.“

 Lars Brocker

Lars Brocker

Foto: friedemann vetter (ve._), Friedemann Vetter

Auf TV-Anfrage teilt das Ministerium mit, den Sachverhalt zu prüfen. Ein erster Wink: Die zuständige Fachabteilung des Hauses habe gegenüber dem Oberverwaltungsgericht zunächst auf das Innenministerium verwiesen. „Dies ist bei laufenden Ermittlungen in sicherheitsrelevanten Vorgängen üblich – zumal in einem derartig frühen Stadium“, sagt ein Sprecher.  Martin Brandl, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Mainzer Landtag, kritisiert dagegen Ministerin Spiegel. „Wenn der höchste Richter unseres Landes sich nun schon zum zweiten Mal zu harscher Kritik veranlasst sieht, dann kann man Frau Spiegel nur dringend raten, in sich zu gehen. Ein solcher Umgang mit der Gerichtsbarkeit schadet dem Rechtsstaat“, sagte Brandl.

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