Schicksalsschlag: Wenn das eigene Kind stirbt

Hermeskeil · Der Tod des eigenen Kindes - ein Drama für alle Eltern. Carina A. und ihr Mann Bernd aus Hermeskeil haben das auch erlebt. Ihre 19-jährige Tochter starb 2012 kurz vor Weihnachten nach einem Routineeingriff.

Laura A. ist nur 19 Jahre alt geworden. Sie ist am 16. Dezember 2012 gestorben. Wegen einer "schicksalhaften Verkettung seltener Ereignisse", wie es acht Monate später im rechtsmedizinischen Gutachten heißt, das die Ursache des Todes von Laura A. aufklären soll.

Die 19-Jährige stand mitten im Leben, als sie an dem Freitag-abend vor ihrem Tod mit ihrer Mutter zum ersten Mal ins Her- meskeiler Krankenhaus kam. In ein paar Wochen wollte sie ihr Abitur machen - und dann ab Herbst in Koblenz studieren. Nun macht eine Bronchitis der jungen Frau seit zwei Wochen zu schaffen. Doch die Medikamente, die ihr Hausarzt ihr verschrieben hat, haben nicht angeschlagen.Verdacht: Herzmuskel entzündet


Als ihre Blutwerte schlechter geworden sind, rät ihr der Arzt, freitagsabends in die Notaufnahme des Krankenhauses zu gehen - Verdacht auf Herzmuskelentzündung. Die Untersuchung bestätigt das jedoch nicht. Mit der Diagnose "akute Bronchitis" wird sie nach Hause geschickt. Laura soll am nächsten Tag noch einmal kommen. Mit einem Langzeit-EKG will der diensthabende Oberarzt endgültig eine Herzerkrankung ausschließen.
Zusammen mit ihrer Mutter ist die junge Frau morgens um halb neun erneut im Krankenhaus. "Was wollen Sie hier? Ihre Tochter ist doch kerngesund, sie hat nur eine Erkältung", habe der Arzt ihr an dem Samstagmorgen gesagt, erinnert sich Lauras Mutter Carina A. Es ist der Arzt, der ihr 22 Stunden später die Nachricht überbringen wird, dass ihre Tochter gestorben ist.

Carina A. sitzt zusammen mit ihrem Mann Bernd im Esszim-mer ihres Hauses in Hermeskeil. Es fällt beiden schwer, über jenen Tag vor über einem Jahr zu reden, der ihr Leben plötzlich verändert hat. "Das Leben ist seitdem nicht mehr, wie es war", sagt die 49-Jährige stockend. Sie kämpft mit den Tränen. Wie jedes Mal, wenn sie über ihre Tochter, ihr einziges Kind, spricht. Auf der Fensterbank stehen Bilder von Laura. Als Baby. Als Teenager. Als junge Frau.

Sie seien früher gerne ausgegangen, hätten viel mit Freunden unternommen, sagt Lauras Vater Bernd A. Nach Lauras Tod hätten seine Frau und er sich zurückgezogen, keine Kraft, keine Lust mehr gehabt, am Leben teilzunehmen. Der 51-Jährige sitzt am Esstisch, das 39 Seiten dicke Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin Mainz vor sich.Beim Lesen: Immer neue Fragen


"Ich weiß nicht, wie oft ich das immer wieder gelesen habe", sagt der Vater. Einige Stellen hat er mit einem Textmarker rosa unterstrichen, mit einem Kugelschreiber Bemerkungen an den Rand geschrieben oder Fragezeichen gemacht. "Unfassbar", sagt er mehrmals. Immer wieder stellen sich ihm beim Lesen neue Fragen.

Ein paar Stunden nachdem Laura angeblich kerngesund aus dem Krankenhaus gekommen ist, hat sich ihr Zustand an dem Samstag verschlechtert. Ihr Hals sei angeschwollen, sie habe nur schwer Luft bekommen, erinnert sich ihre Mutter. Zusammen mit ihrem Mann bringt sie Laura gegen 22 Uhr erneut ins Krankenhaus. Ein Internist, der normalerweise in einer anderen Klinik arbeitet, hat an diesem Abend aushilfsweise Dienst in Hermeskeil. Er erkennt sofort, dass es Laura sehr schlecht geht, und stellt nach dem Röntgen die richtige Diagnose. Spannungspneumothorax. Ein absoluter Notfall. Lebensgefahr.Diagnose: Luft im Brustkorb


Eingeatmete Luft dringt in die Brusthöhle, kann aber nicht mehr entweichen. Die Luft verbreitet sich im Brustkorb, drückt auf Lunge und Venen. Es droht Lungen- oder Herzversagen. Um den Überdruck zu reduzieren, wird in solchen Fällen eine sogenannte Thoraxdrainage gelegt. Durch einen kleinen Schnitt - etwa an den oberen Rippen - wird ein Schlauch eingeführt, um die Luft aus dem Brustkorb herauszulassen.

Es sei nur ein kleiner Eingriff, reine Routine, in zwei Tagen sei ihre Tochter wieder zu Hause, habe der Arzt gesagt, erinnert sich Carina A. 300 Mal habe er schon solche Drainagen gelegt. Laura wird mit einem Rollstuhl auf die Intensivstation gebracht, wo der Arzt gegen 23 Uhr den Eingriff vornimmt. Normalerweise, sagt eine Krankenschwester später bei der Polizei, würden solche Thoraxdrainagen nicht auf der Intensivstation gelegt, sondern von Chirurgen im OP. Der Arzt habe aber gesagt, er sei Lungenfacharzt und werde die Drainage selbst legen.

Der Eingriff scheint zunächst erfolgreich verlaufen zu sein. Eine Röntgenaufnahme habe gezeigt, dass die Drainage richtig liege, der Zustand der Patientin habe sich unmittelbar gebessert, heißt es in dem Gutachten. Laura habe gesagt, dass es ihr besser gehe und dass sie wieder richtig atmen könne, erinnert sich ihr Vater. Sie habe mit dem Daumen nach oben gezeigt. Es ist das letzte Lebenszeichen, das die Eltern von ihrer Tochter empfangen.

Als sie um Mitternacht nach Hause fahren, sind sie beruhigt. "Wir fühlten uns gut aufgehoben. Der Arzt hat solche Eingriffe schon sehr oft gemacht", sagt Ca-rina A.

Gegen ein Uhr veranlasst der Arzt, dass Laura erneut geröntgt wird. Weil die erste Drainage nicht den erhofften Erfolg gehabt habe, habe er gegen zwei Uhr nachts eine zweite angeordnet, gibt eine Krankenschwester später zu Protokoll. Auf ein erneutes Röntgen danach habe der Arzt aber verzichtet.In der Nacht: Nichts Auffälliges


Die Nacht verläuft laut Gutachten ruhig. Es habe nichts Auffälliges gegeben, Laura habe ohne Beschwerden geschlafen.

Kurz vor sechs Uhr ruft Carina A. im Krankenhaus an. Eine Schwester teilt ihr mit, ihrer Tochter gehe es gut. Kein Grund zur Sorge. Ein paar Minuten später kommt es dann im Krankenzimmer von Laura A. zum Drama. Sie klingelt nach einem Pfleger - und als dieser zu ihr kommt, hat sie sich laut Gutachten auf die Brust geklopft, ihr Hals war stark angeschwollen. Die 19-Jährige wird bewusstlos. Den Ärzten gelingt es nicht, Laura A. wiederzubeleben. Um 7.25 Uhr am Sonntagmorgen wird ihr Tod festgestellt. Todesursache laut Gutachten: Verbluten. Durch das Anlegen der zweiten Drainage sei es offensichtlich zu einer Verletzung der Arm-Kopf-Vene gekommen, heißt es.
Die Eltern sehen ihre Tochter nicht mehr lebend. Kurz nach sechs Uhr ruft eine Krankenschwester sie an: Sie sollen sofort ins Krankenhaus kommen, Laura gehe es sehr schlecht. Eine Stunde später überbringt ihnen der Oberarzt die Todesnachricht.

Die Ursache für die Gefäßverletzung lässt sich laut den nach Lauras Tod eingeleiteten staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht abschließend klären. Allerdings, so heißt es in dem Abschlussbericht der Trierer Staatsanwaltschaft, habe der Arzt gegen "die allgemein anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst" verstoßen. So habe er bei dem Anlegen der Drainagen einen sogenannten Trokar verwendet, ein chirurgisches Instrument, mit dem ein Arzt in eine Körperhöhle dringt. Das widerspreche den ärztlichen Leitlinien für solche Eingriffe, heißt es. Ob es dadurch zu der Verletzung der Vene gekommen ist, sei nicht festzustellen, "obwohl diese Annahme naheliegend erscheint", heißt es in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft.Ermittler: Verfahren eingestellt


Auch im Gutachten steht, dass die Gefäßverletzung "zweifelsfrei" durch die Drainage verursacht worden sei.
Dass der Arzt nach der zweiten Drainage auf das Röntgen verzichtet habe, sei pflichtwidrig und verstoße gegen die ärztlichen Leitlinien, so die Staatsanwaltschaft. Doch diese Verstöße reichten nicht aus, um den Arzt wegen fahrlässiger Tötung anzuklagen. Es sei nicht nachweisbar, dass die Blutung durch das Röntgen hätte vermieden werden können. Die Drainagenadel hätte sich auch durch Husten oder eine Bewegung von Laura A. in die Vene bohren können, heißt es. Daher hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Arzt eingestellt.

Die Eltern sind erschüttert. "Das ist unfassbar. Was ist denn heute noch fahrlässig?", fragen sie sich verzweifelt. "Hätte der Arzt sie in der Nacht geröntgt, könnte Laura heute noch bei uns sein." Carina A. und ihr Mann haben Beschwerde gegen den Beschluss der Staatsanwaltschaft eingelegt.
Klinik: Betroffen und sprachlos


Was Lauras Eltern besonders schmerzt, ist die Tatsache, dass sich bis heute das Krankenhaus nicht bei ihnen gemeldet hat. Der plötzliche Tod von Laura A. so kurz vor Weihnachten habe alle dort betroffen, fassungs- und damit auch sprachlos gemacht, sagt Heribert Frieling, Sprecher des Krankenhausträgers, der Marienhaus GmbH, als der Volksfreund nachfragt. Es sei verständlich, dass diese Sprachlosigkeit von den Eltern als herzlos und kaltschnäuzig empfunden werde. Man habe aber Scheu davor, den Eltern gegenüberzutreten, ihnen in die Augen zu sehen, sagt Frieling.

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