Frankreich Mehr Härte als Humanität

Calais · Emmanuel Macron hat bei einem Besuch in Calais seine neue Flüchtlingspolitik skizziert. Sie besteht vor allem in schnelleren Abschiebungen.

 Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßt in Croisilles Anwohner ehe er eine Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge besucht. 

Der französische Präsident Emmanuel Macron begrüßt in Croisilles Anwohner ehe er eine Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge besucht. 

Foto: dpa/Michel Spingler

  Ahmed steht zusammen mit einem Übersetzer im lindgrün gestrichenen Gang des Aufnahmezentrums Croisilles in Nordfrankreich. Der 25-jährige Sudanese erzählt Emmanuel Macron seine Geschichte: Die Flucht aus seiner Heimat 2015, der Weg über Libyen und das Mittelmeer bis nach Italien und dann weiter nach Frankreich.  Der Präsident hört aufmerksam zu und verspricht dann: „Was Sie beschreiben, fällt in das Asylrecht. Wir werden die Dinge so schnell wie möglich erledigen.“ Die sorgfältig für die Fernsehkameras inszenierte Begegnung zeigt eine ideale Welt. Eine, in der Flüchtlinge gut untergebracht sind, unterrichtet werden und im Falle einer Berechtigung auch schnell Asyl erhalten.

 Doch Croisilles ist nur ein Teil der Flüchtlingspolitik von Emmanuel Macron. Der Teil, in dem von Humanität die Rede ist. Der andere besteht im harten Durchgreifen gegen all jene, die Macron als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet. Auch davon spricht der Staatschef. Nicht in Croisilles, sondern 60 Kilometer weiter in einer Polizeikaserne in Calais. Jener Stadt am Ärmelkanal, die zum Symbol der Flüchtlingskrise geworden ist. Mehr als 7000 Menschen lebten dort in einem riesigen Elendslager, bevor der „Dschungel“ im Herbst 2016 geräumt und seine Insassen auf Unterkünfte in ganz Frankreich verteilt wurden. Heute sind es noch rund 500, die von Calais aus nach England wollen. Doch Macron warnt vor falschen Hoffnungen: „Calais ist keine versteckte Tür nach England und das wird so bleiben.“

1130 Beamte sind dauerhaft in Calais stationiert, um Hafen, Eurotunnel und Autobahn zu bewachen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft ihnen brutales Vorgehen gegen Flüchtlinge vor. Auch Hilfsorganisationen wie Secours Catholique, die französische Caritas, sprechen von Gewalt. So sollen Polizisten den Flüchtlingen die Decken wegnehmen und Tränengas in die Zelte sprühen. Macron zeigt den Beamten dennoch seine volle Unterstützung. „Seid stolz auf euer Handeln“, sagt er seinen uniformierten Zuhörern, denen er eine Prämie für ihren Einsatz in Calais verspricht.

 Den Hilfsorganisationen, die sich jahrelang allein um die Flüchtlinge in Calais kümmerten, wirft er indirekt „Lügen“ vor. Falls es aber doch Verstöße gegeben habe, würden sie bestraft. In Macrons einstündiger Rede wird klar, worauf sich das neue Asylrecht, das Innenminister Gérard Collomb im Februar vorstellt, konzentriert: Auf Ordnung und Sicherheit. Der Text, der von der rechten Opposition bereits als zu lasch kritisiert wird, sieht vor, den Zeitraum für Einspruch nach einer Asylentscheidung zu verkürzen und die Dauer der Abschiebehaft von 45 auf 90 Tage zu verdoppeln. Das Gesetz entsteht vor dem Hintergrund eines neuen Asylrekords in Frankreich: Gut 100 000 Asylanträge wurden im vergangenen Jahr gestellt, knapp 14 Prozent mehr als im Vorjahr.

Dennoch gibt es sogar in den eigenen Reihen Kritik gegen den Präsidenten. So sagt der Abgeordnete François-Michel Lambert zur Ausarbeitung des Gesetzes: „Man stellt die Hilfsorganisationen nicht vor vollendete Tatsachen. Man muss sich mit allen an einen Tisch setzen.“ Die Zeitung  Libération  vergleicht Macron bereits mit dem konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, der auf ein hartes Durchgreifen gegen Flüchtlinge setzte. „Sarkozy hat davon geträumt, Macron macht es“, titelte das Blatt vergangene Woche. Das Nachrichtenmagazin „L’Obs“ zeigte den Präsidenten mit Stacheldraht um den Kopf und der ironischen Überschrift: „Flüchtlinge - willkommen im Land der Menschenrechte“ und in einem Gastbeitrag in „Le Monde“ kritisierten Intellektuelle und Gewerkschafter: „Herr Macron, Ihre Politik widerspricht der Menschlichkeit, derer sie sich rühmen.“

 Unmut erregt vor allem ein Rundschreiben von Collomb vom Dezember. Darin erlaubt der Innenminister Polizeikontrollen in den Notunterkünften von Flüchtlingen, die bisher ebenso wie Schulen und Krankenhäuser als Schutzzonen galten. Nicht ausgesprochenes Ziel der neuen Maßnahme ist es, Flüchtlinge aufzuspüren, die über andere EU-Staaten eingereist sind und diese dann schnell abzuschieben. Hilfsorganisationen fürchten deshalb, dass viele Flüchtlinge lieber im Freien campen und so neue wilde Lager entstehen.

„Die Philosophie heißt: Wie kann man schneller ausweisen“, kritisiert Françoise Sivignon von Médécins du Monde. Ihre Hilfsorganisation sagte wie auch die meisten anderen ein Treffen mit Macron am Dienstagabend ab. „Wir stellen eine Verhärtung der Asylpolitik fest“, erklärt sie.

„Das ist das Ende Aufnahmetradition in Frankreich.“

(dpa)
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