TV-INTERVIEW CHRISTOPHER VON DEYLEN (SCHILLER) Musikprojekt Schiller: Ein Pionier, aber kein Brückenbauer

Trier/Teheran · Das deutsche Elektronik-Projekt Schiller hat im Iran für eine Premiere gesorgt. Am Freitag ist die Klangwelten-Show in der Europahalle Trier zu erleben.

 Schiller, Tonhalle, Düsseldorf

Schiller, Tonhalle, Düsseldorf

Foto: Thomas Rabsch

Was verbindet Teheran mit Trier? Popkulturell gibt’s aktuell nur eine Schnittmenge: Das elektronische Pop-Projekt Schiller, das am Freitag in der Europahalle gastiert, hat vor wenigen Wochen in Teheran fünf Konzerte mit historischer Dimension gespielt: Es waren die ersten Auftritte eines westlichen Popmusikers seit der Islamischen Revolution 1979. Diese Premiere sollte vor zehn Jahren eigentlich schon der irische Popsänger Chris de Burgh feiern – dessen geplantes Konzert war damals kurzfristig abgesagt worden. Schiller-Mastermind Christopher von Deylen will dagegen bald nach Teheran zurückkehren, sagt der 47-Jährige  im TV-Interview.

Ihre Konzerte im Iran haben eine historische Dimension. Wie fällt mit einem Monat Abstand die Bilanz aus, was bleibt hängen?

CHRISTOPHER VON DEYLEN Da ist sehr viel hängengeblieben. Das Erlebnis war großartiger, als ich es mir hätte träumen lassen. Mir war zwar bewusst, dass es nicht so viele westliche Künstler gegeben haben konnte, die dort in den letzten Jahren aufgetreten wären. Ich habe aber erst vor Ort erfahren, dass ich der erste seit 39 Jahren bin. Das hat die ohnehin vorhandene Gänsehaut noch intensiviert. Bis dato kann ich mir kein größeres Geschenk vorstellen für einen Künstler, als dass das, was man geschaffen hat, den Weg in einen völlig anderen Kulturkreis findet – und es dann auch noch so euphorisch aufgenommen wird.

Woher kommt überhaupt die Popularität von Schiller  im Iran?

VON DEYLEN Ich weiß es partout nicht. Wir haben fünf Konzerte vor insgesamt 15 000 Zuschauern gespielt. Wenn alles klappt, kommen im März noch weitere hinzu, weil die Nachfrage gar nicht befriedigt werden konnte. Ich habe keine Ahnung, warum ausgerechnet das, was ich mache, dort hingefunden hat. Ich hätte mich schon über ein Konzert gefreut. Da wäre ich sprachlos gewesen und relativ demütig wieder abgereist.

„Klangwelten“ wird vermutlich in ähnlicher akustischer und optischer Form am 19. Januar auch in Trier zu hören sein. Inwiefern dürfte sich die Publikumsresonanz gegenüber dem Iran  ändern?

VON DEYLEN Jeder Landstrich hat seinen eigenen Charakter, das gilt auch für die Menschen - da muss man gar nicht erst 4000 Kilometer fahren, um Unterschiede festzustellen. Das hängt schon von Faktoren ab wie dem Wochentag oder wie das Wetter ist – jeder bringt sich ja erst einmal selbst mit. Es ist spannend zu sehen, wie sich das über die zwei Stunden entwickelt. Wie wird auf besondere Stellen reagiert? Wie verläuft der Spannungsbogen? Im  direkten Vergleich zwischen Teheran und – sagen wir – Trier darf man nicht außer Acht lassen, dass in Teheran die Begegnung mit dieser Art von Musik neu ist  – etwa die Lichtshow und der Sound. Da reagiert man dann sicherlich anders als in einer Gegend der Welt, in der man das eine oder andere schon einmal gesehen hat.

Die Möglichkeit im Iran spielen zu können, ist die eine Sache. War Ihnen sofort klar, dass Sie das Angebot überhaupt annehmen würden? Sahen Sie die Gefahr, politisch instrumentalisiert zu werden?

VON DEYLEN Ich habe keine Sekunde gezögert. Selbst mit aller Fantasie könnte ich mir keinen Grund vorstellen, dort nicht zu spielen oder nicht mehr hinzufahren. Ich könnte gar nicht anders. Ich mache es mir nicht zu eigen, mit meiner Musik eine Botschaft zu verbinden  – die Botschaft bringt jeder Zuhörer selbst mit bzw. erzeugt sie beim Hören. Ich biete nur einen emotionalen Reigen an. Was der Zuschauer daraus macht, obliegt seiner Freiheit oder – auch wenn das ein schwerer Begriff ist – seiner Verantwortung. Mit Vokabeln wie „Sendungsbewusstsein“ oder „Brücken bauen“ kann ich nicht so wahnsinnig viel anfangen. Es hieß dann von einigen, ich sei durch die Iran-Shows zum Brückenbauer geworden und hätte dort etwas in Bewegung gesetzt ...

Haben Sie aber nicht?

VON DEYLEN Nein, ich halte das für maßlos übertrieben. Am Ende ist jedes Land und jedes Volk erst einmal für sich verantwortlich. Da kann man zwar nebenher laufen und schlaue Kommentare abgeben, aber letztlich liegt es an den Menschen vor Ort, ihr Schicksal zu gestalten. Ich war sicher sensibiliert darauf, genau zu schauen, wie man auch hinter den Kulissen aufgenommen wird. Aber zu keinem Zeitpunkt hatte ich im Iran das Gefühl, dass ich im größeren Zusammenhang als Feigenblatt für gewisse gesellschaftliche Entwicklungen benutzt worden wäre. Dann hätte ich sicher noch mal darüber nachgedacht, ob ich wieder hinfahren würde.

Auf der aktuellen Tour Klangwelten verzichten Sie komplett auf Gesang. Das Konzert ist zudem bestuhlt. Was können die Zuschauer in der Europahalle erwarten?

VON DEYLEN Ich möchte das Publikum im Grunde zwei Stunden lang in eine andere Welt mitnehmen, daher kommt auch der Name Klangwelten. Zwei Stunden Auszeit vom Alltag – das möchte ich anbieten. Es gibt zwei Stunden Instrumentalmusik zu hören. Wir sind zu dritt auf der Bühne. Das Ganze wird mit elektronischen Instrumenten gespielt, dazu gibt es eine Leinwand, auf der zu ausgewählten Stücken eigens produzierte Bilder und Filme gezeigt werden. Am prägnantesten ist aber sicherlich der Surround-Sound, der das Erlebnis für das Publikum noch intensiver macht. Die Musik kommt aus allen Richtungen.

Musikalisch sozialisiert wurden Sie in Ihrer Kindheit mit elektronischen Bands wie Tangerine Dream oder Krautrock-Legenden wie Can – beides nicht gerade die heißesten Gesprächsthemen auf den Schulhöfen der frühen 80er. Waren Sie mit Ihrem Musikgeschmack ein Außenseiter?

VON DEYLEN Ein klares Ja! Zu Can bin ich etwas später gekommen, weil man dazu doch etwas musikalische Vorgewöhnung braucht (lacht). Aber wenn man so will, bestand meine musikalische Früherziehung aus Tangerine Dream. Als ich 12 war, hat mir ein Freund eine Kassette mit TD vorgespielt – und damit eine Art von Musik, die ich so noch nie gehört hatte, mit aufgelöster oder nicht vorhandener Song­struktur, während im Radio überall nur Neue Deutsche Welle lief. Diese Intensität reizt immer noch. Da werden  bei jedem Hören andere Bilder erzeugt und emotionale Vorschläge gemacht, die man je nach eigener Verfassung  anders wahrnimmt. Man weiß zwar, was musikalisch passiert, aber die Bilder ändern sich. Das ist ein anderer Weg als bei reiner Popmusik, die ja ein Konsumgut ist - das ist auch ihr legitimer Sinn und Zweck. Musik wie die von Tangerine Dream ist zeitlos. Das ist Filmmusik für den Film im Kopf.

Sie haben mit ganz unterschiedlichen Musikern wie Lang Lang, Xavier Naidoo, Klaus Schulze oder Thomas D. zusammengearbeitet – was war Ihr Highlight?

VON DEYLEN Jede Kollaboration hat ihren eigenen Charme. Wenn ich etwas rausgreifen soll: Das war der Besuch bei Mike Oldfield. Das war etwas Besonderes aufgrund des äußeren Rahmens, das bleib unvergesslich. Ich hatte ihn besucht in der Nähe von London, auf dem Land, da hatte er ein großes, urwüchsigen Anwesen mit Studiohaus. Er hat in den 70er Jahren Tubular Bells komponiert und dazu so viel kommerziell Erfolgreiches in den 80ern gemacht - er könnte es sich bequem machen und sagen, ich gehe Golf spielen. Er geht aber jeden Tag ins Studio, er gibt sich nicht zufrieden mit einem Status. Es ist immer besonders schön, mit Veteranen zu spielen, wenn sie nicht nur von früher sprechen. Ich wähne mich immer noch eher als Anfänger und bin blicke sehr ungerne zurück sondern schaue lieber nach vorne, auf das unvollendete.

Auch mit einem der Can-Helden hatten Sie mal zusammengespielt, mit Jaki Liebezeit, der im vergangenen Jahr gestoben ist…

VON DEYLEN Die Zusammenarbeit mit ihm war traumhaft. Ich wollte immer noch einmalmal etwas mit Jaki Liebezeit zusammen machen - das hat sich leider nicht mehr ergeben. Auf ihn trifft Ähnliches zu wie auf Mike Oldfield. Er hätte sich als lebende Krautrock-Legende gerieren können, nach dem Motto „früher war alles besser“ - das hat er aber nicht gemacht. Er war nicht unbedingt ein Mann des Wortes - aber wenn er sich ans Schlagzeug gesetzt hat, hätte ich ihm stundenlang zuhören und zusehen können. Sein Spiel hatte durch das Weglassen des Erwartbaren eine ganz eigene Aura bekommen, die für manche vielleicht monoton klingt. Aber wenn man sich über den Monotonie-Äquator hinwegbewegen konnte, hörte man Wunderschönes.

Monotonie ist ja auch in der elektronischen Musik ja nicht unbedingt negativ konnotiert.

VON DEYLEN Das ist richtig. Ach, mir fällt mir noch ein Zitat von Jaki Liebezeit während der Kollaboration ein. Er redete ja nicht viel, selbst auf Nachfrage nicht, aber eins ist mir in Erinnerung geblieben: „Der Vier-Viertel-Takt ist eine Lüge.” Ich weiß bis heute nicht, was er damit meint.

Im Gegensatz zu Bands wie Can, Kraftwerk oder Tangerine Dream werden Sie – Schiller- vom Feuilleton ignoriert. Ärgert Sie das?

VON DEYLEN Nein, das ärgert mich überhaupt nicht. Ich kann ja nichts anderes machen, als etwas anbieten. Zugreifen müssen andere. Und wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung dann ein Schiller-Album wie Opus vollkommen erwartbar verreißt, dann bin ich eher beruhigt, dass die Welt noch in Ordnung ist (lacht).

Andreas Feichtner

Tickets für das Konzert am Freitag gibt es u.a. im TV-Servicecenter Trier und an der Abendkasse.

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