Aufgeschlagen - Neue Bücher Die hässliche Wirklichkeit

Hätte ein Weißer diesen Roman geschrieben, der Urheber wäre vermutlich gesteinigt und via Internet für vogelfrei erklärt worden. Aber wie das so ist mit Peer Groups: Äußert sich einer im innersten Zirkel über seinesgleichen, ist alles halb so wild.

 Der Verraeter von Paul Beatty

Der Verraeter von Paul Beatty

Foto: Random House Verlag

Frauen dürfen über Frauen Witze erzählen, Schwule über Schwule und Ostfriesen über Ostfriesen. Obwohl letztgenannte, so viel man aus der Geschichte jener Scherzgeschichten weiß, die inzwischen keinen müden Lacher mehr erzielen, nie so empfindlich reagiert haben sollen …

Paul Beatty darf aber eine solche Geschichte schreiben. Er ist Afroamerikaner, 1962 in Los Angeles geboren, Poetryslammer und Universitätsprofessor, Autor mehrerer Romane und Gedichtbände sowie einer Anthologie über afro-amerikanischen Humor. „Der Verräter“ heißt sein jüngster Roman, der unter anderem mit dem „Man Booker Prize“ prämiert wurde, womit Beatty der erste amerikanische Preisträger dieser britische Ehrung ist. (Schwarzer) Held dieser erbarmungslosen Satire, die Henning Ahrens hervorragend „authentisch“ ins Deutsche übertragen hat, ist ein nicht namentlich identifizierter Ich-Erzähler, der aus einem heruntergekommenen (fiktiven) Vorort von Los Angeles stammt. Er züchtet Melonen und Marijuana und beschließt nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters – er wurde von der Polizei erschossen – mit seinem Kumpel Hominy, der einst in dem Film „Die kleinen Strolche“ mitgewirkt hat, die Rassentrennung an der örtlichen High School wieder einzuführen. Außerdem wird Hominy zum Sklaven des Erzählers, der diesen darum bittet: „Peitsch mir mein wertloses schwarzes Leben aus dem Leib“. Nach einer irrwitzigen Achter- beziehungsweise Geisterbahnfahrt durch die Untiefen des schwarz-weißen US-Alltags endet die Geschichte vor dem Supreme Court, dem höchsten Gerichtshof der USA, dessen Mitglieder zu einem recht ungewöhnlichen Urteilsspruch kommen …

„Der Verräter“ ist ein Buch, bei dessen Lektüre dem Leser mehr als einmal der Atem stockt. Darf man so was schreiben? Ein Buch, das sämtliche Klischees über „die Schwarzen“ aufgreift, die aus recht(sradikal)en Kreisen nur zu gern verbreitet werden? Das sich über all das lustig macht, was einem von „political correctness“ bewegten Bürger die Haare zu Berge stehen lässt? Satire, um mal wieder Tucholskys vielbemühten Satz zu strapazieren, darf alles, und sie darf auch so sehr und so viele rote Linien überschreiten, dass man sie aus dem Bereich der Fiktion mühelos in die Realität zurückübersetzen kann. Denn den Rassismus als überwunden betrachten – darauf würde wohl nur ein weltfremder Candide kommen. In einem derart gespaltenen Land wie den Vereinigten Staaten dagegen, das mit einem unverhohlen rassistischen „Präsidenten“ zurechtkommen muss, hält „Der Verräter“ dem Publikum einen Spiegel vors Gesicht. Und in diesem Spiegel erkennt es – die hässliche Wirklichkeit.

Rainer Nolden

Paul Beatty, „Der Verräter“, aus dem Amerikanischen von Henning Ahrens, Luchterhand, 351 Seiten, 20 Euro.

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