Urteil Stadt muss Schmerzensgeld zahlen

Trier · Eine Fußgängerin stürzt in der Trierer Innenstadt und verklagt die Stadt. Die Verwaltung wehrt sich - und kassiert harte Niederlagen.

Die Johann-Philipp-Straße in der Trierer Innenstadt: Hier ist die Frau aus der Eifel gestürzt. Das kleine Foto rechts zeigt das Pflaster kurz nach dem Unfall, auf dem linken Foto ist die mittlerweile sanierte Fläche zu sehen. Fotos (2): privat

Die Johann-Philipp-Straße in der Trierer Innenstadt: Hier ist die Frau aus der Eifel gestürzt. Das kleine Foto rechts zeigt das Pflaster kurz nach dem Unfall, auf dem linken Foto ist die mittlerweile sanierte Fläche zu sehen. Fotos (2): privat

Foto: (h_st )

Trier Die Fußgängerzone im Mai 2016: Tausende Passanten sind hier unterwegs. Die Johann-Philipp-Straße ist eine der Hauptachsen, sie führt am beliebten Kornmarkt vorbei. Eine Fußgängerin kommt von der Brotstraße und biegt in die Johann-Philipp-Straße ab, als es geschieht: In Höhe des Bekleidungshauses "Blaue Hand" stürzt die Frau, die eine Handtasche und einen Blumenstrauß trägt.

Der Unfall Sie wird ohnmächtig, ein Rettungswagen bringt sie in ein Trie rer Krankenhaus. Die Diagnose: Der rechte Oberarm ist in der Nähe der Schulter gebrochen. Es folgen eine Operation, Krankengymnastik und eine ambulante Reha, aber dennoch kann sie ihren rechten Arm bis heute kaum bewegen. "Ich bin im täglichen Leben enorm eingeschränkt", sagt sie dem TV.

Die Klage Für ihren Mann steht fest: Nicht sie selbst trägt die Schuld an diesem schweren Sturz, sondern die Stadt Trier, denn das Pflaster in der Johann-Philipp-Straße war an diesem Tag marode und wurde zur Stolperfalle. Mit dieser Überzeugung geht die Familie aus der Eifel vor Gericht. "Ich will keinen Rummel um meine Person und meine Familie", sagt der Unternehmer aus der Eifel heute. Deshalb will er seinen Namen und den seiner Frau nicht veröffentlicht sehen, auch der genaue Wohnort soll nicht genannt werden. Der Rummel, den er befürchtet, ist in der Tat nicht unwahrscheinlich, denn sein Fall ist bundesweit sehr selten und in Trier möglicherweise sogar einzigartig: Obwohl sich die Stadt Trier heftig wehrt und jede Verantwortung für den Sturz ablehnt, gewinnt die Frau vor Gericht. Und zwar zweimal. Trier muss zahlen.

Die Urteile Im Februar 2017 verurteilt die 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier die Stadt zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 12 000 Euro. Außerdem wird die Verwaltung verpflichtet, "jeden künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfall zu ersetzen, sofern die Ansprüche nicht auf die Krankenversicherung übergehen". Die Stadt akzeptiert dieses Urteil nicht und geht in Berufung. Doch auch das Oberlandesgericht Koblenz gibt der Familie aus der Eifel recht und weist die Berufung im August zurück.

Der Vorwurf Die Prozesse sind gewonnen, die Stadt hat die 12 000 Euro gezahlt. Doch der Zorn der Familie ist immer noch sehr groß. Der Mann des Unfallopfers erklärt die Gründe. "Während des Verfahrens stritt die Stadt Trier alles ab, sogar die Tatsache, dass meine Frau wegen des maroden Pflasters gestürzt ist. Die Stadt unterstellte, dass sie über ihre eigenen Füße gefallen sei, und versuchte, jegliche Ansprüche aus Amts- und Staatshaftung mit teilweise ehrverletzenden Methoden weit von sich zu weisen. Die Schadenersatzklage wurde von den gegnerischen Anwälten süffisant ins Lächerliche gezogen."

Das Gutachten Der Unternehmer gab zur Beweissicherung sofort auf eigene Kosten ein Gutachten bei einem vereidigten Sachverständigen in Auftrag. Dieser untersuchte die Beschaffenheit und den Zustand der Straße zum Zeitpunkt des Unfalls. Die Ergebnisse: Die Höhenunterschiede des Straßenpflasters an der Unfallstelle in der Johann-Philipp-Straße lagen im Mai 2016 - mittlerweile ist die Stelle saniert - bei 3,1 bis 4,5 Zentimetern und variierten von Stein zu Stein. "Glücklicherweise konnten mehrere Zeugen ausfindig gemacht werden, die den Unfall gesehen haben und per Handyfoto festhielten", sagt der Kläger gegen die Stadt Trier.

Die Gerichte In der Urteilsbegründung des Landgerichts Trier heißt es: "Das Gericht hat nicht den geringsten Zweifel, dass sich der Sturz so ereignet hat, wie er von der Klägerin vorgetragen wurde." Die Stadt Trier habe ihre Verkehrssicherheitspflicht verletzt, da sie die "offensichtlich seit längerer Zeit bestehenden" Beschädigungen des Pflasters in der Johann-Philipp-Straße "fortbestehen ließ".

Das Gericht betont: "Eine verantwortungsbewusst handelnde Kommune kann einen Pflasterzustand in einem Bereich, der derart häufig von Fußgängern genutzt wird, nicht tolerieren." Das Oberlandesgericht Koblenz bestätigt die Trierer Entscheidung in vollem Umfang: Das Urteil aus erster Instanz sei nicht zu beanstanden, das Landgericht habe keine Fehler begangen.

Die Konsequenzen Ein Fußgänger stürzt in der Innenstadt - unter welchen Umständen muss die Stadt Schmerzensgeld zahlen? Hier lohnt sich ein Blick in die Urteilsbegründung des Landgerichts.Das Kernthema ist die genaue Höhe der Unebenheiten bei Pflasterschäden. Im Urteil heißt es: "Zumindest im Innenstadtbereich mit einem erhöhten Fußgängeraufkommen ist eine Höhendifferenz von zwei Zentimetern oder mehr nicht mehr hinzunehmen." In der Johann-Philipp-Straße waren es vor der Sanierung der Unfallstelle aber nicht zwei, sondern bis zu 4,5 Zentimeter. Im Klartext: Es geht in diesem Urteil nur um die Innenstadt. Wenn hier das Pflaster Verwerfungen von mehr als zwei Zentimetern Tiefe hat, ist die Stadt in der Verantwortung.

Das Fazit Die Auseinandersetzungen zwischen der Familie aus der Eifel und der Stadt Trier gehen weiter. "Die Stadt hat gegen die Abrechnung der Gerichtskosten Beschwerde eingelegt", sagt der Mann des Unfallopfers. "Weiterhin wird jeder Beleg aus den medizinischen Leistungen, der nicht von der Krankenkasse übernommen wurde, in frage gestellt." Sein Fazit: "Um sich vor Gericht gegen eine Verwaltung durchzusetzen, benötigt man gute anwaltliche Betreuung, eine gesicherte Beweislage und gute Nerven."

Liebe Leserinnen und Leser, kennen auch Sie Stolperfallen in der Innenstadt? Bitte mailen Sie uns Ihre Erlebnisse, gerne auch mit Foto, an: echo@volksfreund.de

Der Kommentar

Böse gestolpert

Krater und Stolperfallen mit einer Höhe von vier Zentimetern - so sah die Situation an der Unfallstelle in der Johann-Philipp-Straße lange aus. Ein hohes Risiko für Fußgänger. Die Stadt trägt die Verantwortung für deren Sicherheit und hätte auch ohne einen aufwendigen Rechtsstreit wissen und bemerken müssen, dass diese Stelle viel zu gefährlich ist und dringend saniert werden muss. Die Zeit, das Geld und die Energie, die in diese beiden Prozesse geflossen sind, hätte die Verwaltung besser in die Suche nach weiteren Fußgängerfallen in der Innenstadt investiert, über die sie in Zukunft rechtlich böse stolpern und stürzen könnte. j.pistorius@volksfreund.de

Extra: Die Reaktion der Stadt Trier

Der Trierische Volksfreund bittet die Stadtverwaltung um eine Stellungnahme zur Doppelniederlage vor Gericht. "Generell ist zunächst einmal zu sagen, dass wir natürlich sehr bedauern, dass die Dame in Trier gestürzt ist und dass sie sich dabei verletzt hat", sagt Sprecher Michael Schmitz. "Es trifft zu, dass wir vor Gericht bestritten haben, dass die Frau aufgrund des Pflasters gestürzt ist. Wir haben die Schadenursache bestritten, weil es für uns aufgrund des gegnerischen Vortrags nicht plausibel war." Den weiteren Vorwürfen des Klägers tritt er jedoch entgegen. "Dass wir die Klage süffisant ins Lächerliche gezogen hätten oder mit teilweise ehrverletzenden Methoden gearbeitet hätten, weisen wir allerdings zurück."

Die Johann-Philipp-Straße in der Trierer Innenstadt: Hier ist die Frau aus der Eifel gestürzt. Das Foto zeigt das Pflaster kurz nach dem Unfall.

Die Johann-Philipp-Straße in der Trierer Innenstadt: Hier ist die Frau aus der Eifel gestürzt. Das Foto zeigt das Pflaster kurz nach dem Unfall.

Foto: (h_st )

Befürchtet die Stadt Trier, dass dieser Fall zu einem Präzedenzfall für andere Stürze und daraus entstehende Forderungen werden könnte? "Nein, wir befürchten das nicht", sagt Schmitz. "Es handelt hierbei um eine Einzelfall-Entscheidung, weil es nur um die betroffene Unfallstelle ging." Die angesprochene Stelle wurde nach den beiden Urteilen vorbeugend saniert. "Das Betonsteinpflaster in der Johann-Philipp-und der angrenzenden Gangolfstraße wurde Anfang Oktober teilweise durch Asphalt ersetzt", sagt der Sprecher der Stadt Trier. Denn es habe sich gezeigt, dass die von zahlreichen Lastern des Zulieferverkehrs verursachten Schäden am Pflaster "durch bloße Flickarbeiten" nicht behoben werden konnten. "Anfang 2018 soll unter Berücksichtigung stadtgestalterischer Aspekte ein Asphalt mit einem Muster verlegt werden, das sich dem umliegenden Pflaster angleicht."

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